Weckruf gegen „Erosion“ des Kapitalmarktes

Praxisnahe gesetzliche Vereinfachungen in der Kapitalmarktregulierung und institutionelle Verbesserungen sollen die Abwanderung von der Wiener Börse stoppen.

Wenn Industriellenvereinigung (IV) und Aktienforum zeitgleich Maßnahmen in der Kapitalmarktpolitik einfordern und selbst einige vorschlagen, dann mit guten Gründen. Denn nicht nur, dass beiden Institutionen die maßgeblichen Emittenten und Player der Wiener Börse vertreten, sondern umso mehr, weil die börsenotierten Austro-AGs eine tragende volkswirtschaftliche Säule sind: „Ein ,Börse-Euro’ an Wertschöpfung der heimischen börsenotierten Unternehmen bewirkt in Österreichs Wirtschaft in Summe 2,33 E an Wertschöpfung, ein Beschäftigungsverhältnis in einem börsenotierten Unternehmen generiert in Österreich gesamt 2,56 Arbeitsplätze“, verdeutlicht Aktienforum-Präsident Robert Ottel die Bedeutung der Börsenotierten für die Gesamtwirtschaft Österreichs. Daher sei es „alarmierend“, ergänzt IV-Generalsekretär Christoph Neumayer, dass es in den vergangenen Jahren einen massiven Rückgang der Zahl der Börsenotierungen in Wien gab: seit 2006 vom damaligen Höchststand von 127 AGs um fast 40 % auf 79 Börsegelistete. Damit sank der Produktionswert, die Wertschöpfung und der Beschäftigungseffekt, den diese geschrumpfte Familie der Börsenotierten zu unserer Volkwirtschaft beiträgt, um rund 10 %.

Einfacher werden
Diese Daten einer „beunruhigenden Erosion“ des Austro-Kapitalmarktes müssten ein „Weckruf“ für die Bundesregierung sein, so die beiden Institutionenvertreter. Ansatzpunkte für sinnvolle Maßnahmen gebe es genug: Zum einen bei den Kosten von zigtausenden Euro für die Einrichtung der vorgeschriebenen „Whistleblowing“-Systeme in den Unternehmen, die insbesondere die kleineren belasten und von der Börse abschrecken. In Frankreich gingen solche Verpflichtungen aus datenschutzrechtlichen Gründen gar nicht. Eine Vereinfachung des heimischen Börsegesetzes nach deutschem Vorbild wäre daher wünschenswert: Bei unserem großen Nachbarn (mit dem größten kontinentaleuropäischen Kapitalmark) müssten nur Finanzdienstleister explizite Whistleblowing-Systeme aufweisen.
Vereinfachungswunsch zwei: Die Veröffentlichung der Directors Dealings sollte wieder zentral via FMA erfolgen. Derzeit müssen Interessierte alle Unternehmen selbst durchsuchen, was – nicht nur – für jeden Privatanleger mühsam sei. Beide Beispiele stammen aus der Umsetzung der EU-Marktmissbrauchs-Richtlinie und zeigen, dass der Austro-Gesetzgeber auf die europäischen Vorgaben gerne noch eins draufsetzt. Somit lautet die übergeordnete Forderung von IV und Aktienforum: Gesetzliche Vereinfachungen statt „Gold Plating“.

FMA gefordert
Zweiter Ansatzpunkt für eine „praxisnahe, effiziente und kostensparende Kapitalmarktregulierung“ sei der Regulator selbst. Zu begrüßen sei daher die im neuen Regierungsprogramm angekündigte Prüfung der FMA, so Neumayer: „Neben mehr Transparenz und einer effektiven Budgetkontrolle muss dabei vor allem die Rechtssicherheit für die Emittenten im Mittelpunkt stehen.“ So wäre es wünschenswert, wenn Unternehmen von der FMA schriftliche und verbindliche Auskünfte erhalten könnten, da „die gesetzlichen Bestimmungen unklare Regelungen enthalten, die große Interpretationsräume freilassen. Dies sorgt für große Rechtsunsicherheit bei den Emittenten“, etwa bei der Ad-hoc-Publizität. Auch die Kosteneffizienz der FMA stehe auf dem Prüfstand: Denn „Personalstand und Personalaufwand der FMA haben sich zwischen 2002 und 2015 teilweise mehr als verdreifacht“. Da der Großteil der
Kosten von den Beaufsichtigten, also den Unternehmen selbst, gedeckt werden müsse, sollte „eine ordentliche Budgetkontrolle nach Effizienzkriterien selbstverständlich sein“, so der Industrievertreter. Eine parlamentarische Kontrolle sei vorstellbar.

Wiederbelebung
Ottel begründet sein Plädoyer für den Börseplatz Österreich damit, dass die Austro-Unternehmen hier „sichtbar“ seien, an einer großen internationalen Börse wären sie in der Masse nicht mehr visibel. Wünschenswert wäre auch die Neuinstallation eines Kapitalmarktbeauftragten: „Dieser war der politische Ansprechpartner bei allen Kapitalmarktthemen. Ein solches Sprachrohr zwischen den Stakeholdern am Kapitalmarkt, der Politik und dem Gesetzgeber brauchen wir dringend wieder.“

Autor: Manfred Kainz (redaktion@boersen-kuri8er.at)