In unterbewertete Aktien investieren: Ja, aber wie selektieren?
Unterbewertete Aktien (aus)suchen, denn die haben Aufwärtspotenzial. Gerne, aber das ist leichter gesagt als getan. Denn nach welchen Kriterien soll man „stock picken“?
Aktien suchen und finden, die am Markt unter ihrem Wert geschlagen werden – und auf das Upside-Potenzial von deren Börsenkursen setzten. Das ist, was man im Neudeutschen „Value Stock Picking“ nennt und was viele Investoren bewusst oder unbewusst probieren. Mit mehr oder weniger Erfolg. Denn es sagt sich zwar leicht, „in Unterbewertete zu gehen“. Aber es wird wohl Gründe haben, warum sie unterbewertet sind und wie lange der unbefriedigende Zustand andauert weiß man auch nicht. Also was tun, wie selektieren?
Unterbewertung kein Wert per se
„Die Unterbewertung einer Aktie rechtfertigt auch dann, wenn die Unterwertung deutlich ist, für sich allein noch kein Investment“, warnt auch Marc. Der Franzose ist Gründer der unabhängigen Fondsgesellschaft Mandarine Gestion mit rund 2,3 Mrd. Euro Aktiva und Manager des Mandarine Valeur Aktien Europa Value Fonds (ISIN: FR001080 6778). Anlässlich seines Besuches in Wien ging er gegenüber dem Börsen-Kurier auf Herausforderungen und Erfolgsansätze für Value Stock Picking ein. Für die Auswahl einer viel versprechenden unterbewerteten Aktie seien eine „tiefer gehende Analyse des Wertes und das Verständnis für die Unterbewertung notwendige Voraussetzungen für einen Kauf“, betont der Portfolio Manager mit mehr als 25 Jahren Track Record. Und erst die Identifizierung (mindestens) eines „Katalysators“ sei dann „der Schlüssel für den Kursanstieg“.
Verstehen
Aber der Reihe nach. „Konträre“ Selektion von unterbewerteten Titeln mittels „Value mit Katalysator“-Ansatz brauche eine Vorauswahl, basierend auf Finanzkennzahlen, die im Zeitablauf kontinuierlich sind: Unternehmenswert EV/EBIT und durchschnittlicher ROE (Return on Equity, Eigenkapitalrendite). Renaud investiert nur dann in Werte mit hohem EV/EBIT, wenn der ROE entsprechend niedrig ist – oder umgekehrt. Beispiele aus der Bankenwelt: Unicredit (IT000 4781412) oder Erste Group.
Um aber solche Unternehmen und ihre Bewertung analysieren zu können, müsse man das Unternehmen und sein Geschäftsmodell verstehen: Also etwa, welche sind die relevanten Märkte und wie ist das Unternehmen in diesen Märkten positioniert? Wie sind Produktion und Vertrieb aufgestellt? Welche Motivation herrscht bei den Schlüsselpersonen im Unternehmen vor? Wie ist die Qualität des Managements? Nur dann könne man auch verstehen, warum der Titel unterbewertet ist. Die „natürliche Verzerrung“ der Märkte „überzahlt“ gerne die „good Stories“, wohingegen unterbewertete Aktien zyklische oder spezifische Schwierigkeiten haben. Gewinnrückgänge seien übrigens mit Abstand der höchstwahrscheinliche Grund für Unterbewertung. Nur wenn man die Gründe für die Unterbewertung versteht, könne man einen „potenziellen Katalysator“ suchen: Einen Faktor, der ein „Re-Rating“ auslösen könnte, also einen Anlass bzw. „Schlüssel“ für einen absehbaren Kursanstieg des Titels. Wobei Renaud über einen Zeitraum von drei bis sechs Monaten denkt und da als Messlatte eine Kurssteigerungserwartung von mindestens 10 % anlegt.
Vier Auslöser
Was sind nun solche Katalysatoren? Es lassen sich vier Arten von Kursbelebungskatalysatoren unterscheiden: Erstens Bilanzbereinigung und Rückführung des Verschuldungsgrades; prominente Beispiele: Anglo American (GB00B1XZS820), Lafarge (CH0012214059), Heidelbergcement (DE0006047004), Rio Tinto (GB0007188757), Standard Chartered (GB0004082847) oder ArcelorMittal (LU0323134006).
Zweitens, zyklischer Aufschwung; bekannte Beispiele: Maersk (DK0010244508), Holcim (CH0012214059), Uni-Credit, Heidelbergcement oder Lafarge.
Drittens: strategische Veränderungsfaktoren wie Managementwechsel, Weiterentwicklung des Geschäfts(um)feldes, Reorganisation des Konzerns, M&A; prominente Beispiele: Fresenius (DE0005785604), Linde (DE0006483001), SCA (SE0000112724), Shell (GB00B 03MLX29) oder Fiat Industrial (NL0010545661).
Und viertens: Rückgang der Risikoprämien durch Normalisierung der Märkte, prominente Beispiele: AXA (FR0000120628), BNP Paribas (FR0000131104), Intesa Sanpaolo (IT0000072618) oder Santander (ES0113900J37).
Austroaktien
Das „Zieluniversum“ des französischen Portfolio Managers sind unterbewertete europäische Aktien mit einer Mindestmarktkapitalisierung von in etwa 1 MrdE. Insoferne ist Österreich für ihn „ein kleiner Markt“. Aber trotzdem: Er hält aktuell Andritz und der Erste Group („die berichtet, dass die Non performing lowns zurückgehen und Kredite anziehen“), die er für unterbewertet hält. Und er „covert“ auch andere Austro-Titel wie OMV, Vienna Insurance Group, RBI, voestalpine …
Disziplin
Beim Stock Picking nicht zu vergessen ist aber neben Kaufdisziplin auch Verkaufsdisziplin. Renaud etwa legt für jeden einzelnen Portfoliowert bereits beim Kauf ein Verkaufsziel fest. Dieses beruht „auf der Logik einer Rückkehr zum Durchschnitt“ von Profitabilität und Bewertung. Die Portfoliogewichtung richtet sich nach dem Aufwertungspotenzial. Wenn nach Titelkäufen deren Kurse steigen, verkauft er „progressiv“ aus seinem Portfolio. Und bei Erreichen des Verkaufskursziels verkauft er seine gesamte Beteiligung in dem Titel. Und wenn es sich mit dem Zielkurs nicht ausgeht, verkauft er trotzdem. Lieber eventuell einen Verlust realisieren, wenn es seine Analyse rechtfertigt, als zu lange drinbleiben. Auch wenn der Value-Stil jahrelang eine unterdurchschnittliche Wertentwicklung gezeigt hat, ist der Franzose insgesamt der Überzeugung, dass alle Übertreibungen des Marktes, nach oben oder nach unten, vorübergehende Erscheinungen sind und nicht von Dauer sein können. Und die enge Korrelation zwischen Zinsanstieg, der in den USA begonnen hat, und Outperformance des Value-Stils sei Marktteilnehmern nicht verborgen geblieben.
Sein Prinzip der „Rückkehr zum Mittelwert“ sei also ein konträrer Ansatz, mit dessen Hilfe man sich „der Massenpsychologie widersetzen“ könne, von der Marktübertreibungen gekennzeichnet seien.
Autor: Mag. Manfred Kainz (redaktion@boersen-kurier.at)