Talentscouts für Milliardenmoleküle
Arzneimittelforschung ohne eigene finanzielle Risiken – das Geschäftsmodell der Hamburger Biotechfirma beginnt sich auszuzahlen. Die im TecDAX gelistete Aktie startet durch. Firmenchef ist ein gebürtiger Österreicher.
Das Schaulaufen für die Firmenchefs, Wissenschaftler und Investoren aus der Gesundheitsbranche findet jährlich in der zweiten Jännerwoche in San Francisco statt. Dann dient die Investorenkonferenz von J.P. Morgan als Forum für Präsentationen, Fachdiskussionen und Hintergrundgespräche. Dazu bewegen Firmen mit Ergebnissen von klinischen Studien oder ersten Zahlen zum abgelaufenen Geschäftsjahr die Aktienkurse. Und natürlich werden auf den Meetings auch Kooperationen eingefädelt.
Im Terminkalender von Werner Lanthaler ist der Mega-Event dick angestrichen. Der gebürtige Oberösterreicher, der als Kind Profifußballer werden wollte, arbeitete nach einem Master-Abschluss in Harvard bei McKinsey, ehe er 2000 ins Biotech-Business einstieg. Als Finanzvorstand von Intercell ging er in die Offensive und brachte den Wiener Impfstoffhersteller 2005 an die Börse. Als er 2009 in Hamburg das Steuer bei Evotec übernahm, galt es erst einmal den Ball flach zu halten und eine neue Strategie aufzusetzen. Das im TecDAX gelistete Unternehmen befand sich in der Krise. Klinische Studien mit eigenen Wirkstoffen etwa gegen Nikotinabhängikeit oder Alzheimer kamen nicht vom Fleck und verbrannten Cash.
Unter Lanthaler kehrte Evotec zu seinen Wurzeln zurück. Das 1993 gegründete Unternehmen steckt seine finanziellen Mittel nicht mehr in die eigene Medikamentenentwicklung. Stattdessen identifizie-ren Hightech-Analysesysteme biologische Wirkstoffe wie Proteine oder Antikörper auf ihre Fähigkeit, bestimmte Moleküle zu blockieren, die als Krankheitsauslöser eine Schlüsselrolle spielen. Zwei Millionen Moleküle aus der hauseigenen Bibliothek stehen dafür zur Verfügung.
Die Auftraggeber kommen aus der Pharma- und Biotechindustrie oder sind Stiftungen ohne eigene Forschungs-Infrastruktur. Gerade für die unter Patentabläufen und Preisdruck leidenden Pharmakonzerne bringt diese Auslagerung der Frühphasenforschung flexiblere Kostenstrukturen. Nach einer Studie der Unternehmensberatung Deloitte sind die durchschnittlichen Kosten für die Entwicklung eines marktreifen Medikaments seit 2010 um ein Drittel auf 1,6 MrdUSD gestiegen. Im Gegenzug schrumpften die jährlichen Spitzenumsätze, im Branchenjargon Peak Sales genannt, von 816 auf 416 MioUSD.
„Unser Geschäftsmodell ist darauf ausgerichtet, zwischen akademischen Einheiten und der Pharmaindustrie einen Markt für Plattformen zur präklinischen Arzneimittelforschung zu schaffen, den es vorher so nicht gab“, so Lanthaler gegenüber dem Börsen-Kurier. Die Firmensparte EVT Execute identifiziert für die Auftraggeber Wirkstoffe. Die Partner sind für die Weiterentwicklung in klinischen Programmen verantwortlich und tragen dafür auch das volle finanzielle Risiko. Evotec erhält dafür in der Regel vertraglich festgelegte Vergütungen, bisweilen auch Meilensteinzahlungen und Umsatzbeteiligungen (Royalties), sollten diese Wirkstoffe in Zukunft die Marktzulassung schaffen.
Eine wesentlich größere Rolle spielen diese Meilensteinzahlungen und Royalties im zweiten Geschäftsbereich EVT Evaluate. Hier geht Evotec direkte Forschungsallianzen ein in Indikationen wie Stoffwechsel- und Entzündungskrankheiten, Nervenkrankheiten, Krebs, Schmerz und Infektionskrankheiten. Rund 70 solcher Programme hat Evotec derzeit am Laufen – und mit den zunehmenden klinischen Fortschritten bei den Partnern steigen die Einnahmen bei Evotec.
Jüngster Coup war die im Dezember abgeschlossene Kooperation mit der US-Biotechfirma Celgene. Hier bringt Evotec das firmeneigene Arsenal an Stammzellen ein, welche die Basis für Substanzen gegen Nervenleiden wie Alzheimer, Parkinson und Lähmungen des motorischen Nervensystems (Amyotrophe Lateralsklerose) bilden sollen. Die in diesen Krankheitsfeldern exklusive Allianz bringt Evotec 45 MioUSD an Vorabzahlungen – und weitere 250 MioUSD an Meilensteinzahlungen sowie Royalties im zweistelligen Prozentbereich. Weitere Kooperationen beziehen sich etwa mit Bayer auf Nierenerkrankungen oder mit dem französischen Pharmagiganten auf Krebspräparate.
Evotec arbeitet seit 2014 wieder profitabel und ist cashflowpositiv. Für eigene Zu-käufe ist die Gesellschaft mit liquiden Mitteln von zuletzt 110 MioE und einem Credit Rating bei den Banken gut gerüstet. Die Eigenkapitalquote lag zum 30. September bei 70,3 %. Den gerade abgeschlossenen Kauf der britischen Firma Cyprotex für 66 MioE stemmte Evotec ohne externe Finanzierung. Die Umsatz- und Gewinnziele für 2016 hat Evotec Lanthaler zufolge „komfortabel“ erreicht. Sollte Evotec langfristig die Mittelzuflüsse steigern, so lässt Lanthaler durchblicken, seien auch Dividenden ein Thema.
Den Börsianern gefällt die Firmenstory. Die Evotec-Aktie brach in den vergangenen Monaten aus ihrer mehrjährigen Seitwärtsbewegung aus. Mit einem satten Plus von 78 % schaffte sie am Ende die zweitbeste Jahresperformance unter allen TecDAX-Mitgliedern. Dementsprechend gestiegen ist auch das Interesse für Evotec im größten Gesundheitsmarkt USA. Eine Sache missfällt Lanthaler dennoch: „Obwohl wir vom Börsenwert mittlerweile die Milliardenmarke erreicht haben, sind wir für sehr viele der großen US-Fonds leider noch immer viel zu klein. Aber 2018 kommt ja die nächste J.P. Morgan Konferenz in San Francisco.“
Autor: Stefan Rieden (redaktion@boersen-kurier.at)