Amerikas dringendste Probleme bleiben ungelöst
Innerhalb weniger Stunden nach Amtsantritt hat Donald Trump damit begonnen, Anordnungen und Dekrete zu unterzeichnen, um seine Wahlversprechen einzulösen. Aber wenn der neue US-Präsident „Amerika wieder großartig machen“ will, dann muss er sich in erster Linie der strukturellen Probleme des Landes annehmen. Ein Gastkommentar von Neil Dwane, Global Strategist bei Allianz Global Investors.
Der neue US-Präsident hat seine politischen Schwerpunkte für die ersten 100 Tage im Amt klar definiert hat: Abschaffung von „Obamacare“, Steuerreform, Infrastrukturmaßnahmen sowie ein höherer Verteidigungsetat, die Neuverhandlung von Handelsabkommen und hartes Durchgreifen bei der Einwanderungspolitik. Obgleich Donald Trump mit diesen öffentlichkeitswirksamen bzw. populistischen Initiativen Amerika wieder „great“ machen will, ist eine langfristige Genesung der USA nur möglich, wenn er die langfristigen strukturellen Probleme anpackt und den amerikanischen Traum wieder beflügelt.
Dafür wäre aber ein großer Wurf erforderlich, den Japan, Europa und die USA bisher versäumt haben, denn sie alle versuchen noch, sich von der globalen Finanzkrise zu erholen.
Wo Reformen notwendig sind. 1. Bildung
Die USA haben bei höherer Bildung zurecht einen sehr guten Ruf, allerdings ist Bildung katastrophal teuer geworden. Ein durchschnittlicher amerikanischer Student hat ein negatives Nettovermögen, und die durchschnittliche Höhe des Studentendarlehen eines Millennials beträgt 30.000 USD. Leider haben diese Darlehen nicht den Handlungsspielraum der Studenten, sondern die Preissetzungsmacht der Bildungsträger vergrößert. Langfristig ist dies eines der Hauptprobleme der USA.
2. Gesundheitswesen
Die USA gibt rund 17 % ihres Bruttoinlandsproduktes für das Gesundheitswesen aus, fast doppelt so viel wie andere OECD-Länder. Weder Obamacare, noch die Änderungen im Gesundheitssystem, die Trump vorgeschlagen hat, befassen sich mit den Haupt-Problemen: Viele Anbieter haben Gewinnspannen von mehr als 20 %; viele Patienten sehen den Rechnungsbetrag ihrer Behandlungen nicht; und viele Arzneimittel- und Dienstleistungskonzerne sind in unlautere Preisabsprachen verwickelt. Da die Gesellschaft der USA schnell altert, wird die Nachfrage nach Gesundheitsversorgung weiter ansteigen. Solange das Gesundheitswesen nicht effizienter wird, können die knappen Mittel nicht strategisch in anderen Wirtschaftsbereichen eingesetzt werden.
3. Konsum und Handel
Es ist klar, warum dem Handel und insbesondere dem US-amerikanischen Handelsdefizit mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte, insbesondere wenn man bedenkt, dass andere Wachstumsmotoren der USA an Boden verlieren. Der Konsum stagniert um 70 % des Bruttoinlandsproduktes, und der Häusermarkt steckt bei etwa 5 % fest.
Dies führt dazu, dass sich Trump auf die Erhöhung der Exportraten konzentrieren muss; allerdings verrät die Wortwahl in seinen Tweets und politischen Vorschlägen eine merkantilistische Sichtweise, was im Endeffekt dazu führen könnte, dass der Handel nicht gefördert wird.
Das aktuelle US-Geschäftsmodell – ausgeben, leihen, und dann noch mehr ausgeben – das Ende der Fahnenstange erreicht. Schließlich können die amerikanischen Konsumenten ihre Häuser nicht mehr als Geldautomaten nutzen, um langfristig angelegtes Kapital flüssig zu machen.
4. Innovation
Die amerikanischen Ausgaben für Forschung und Entwicklung sind seit Jahrzehnten rückläufig. Die Explosion der sozialen Medien ist sicher innovativ, hat allerdings eher zu großem Reichtum anstatt zu großen Beschäftigungszuwächsen geführt: Facebook – nach Marktwert eines der größten Unternehmen der Welt – hat nur 13.000 Angestellte. Dies verschärft das Problem der ungleichen Verteilung des Wohlstands noch weiter, und es gibt berechtigte Zweifel daran, ob diese High-Tech-Innovationen tatsächlich zu Produktivitätszuwachs führen. Die Regierung hat ihrerseits dazu beigetragen, dass Innovationen über Jahre hinweg durch unnötige Regularien behindert wurden.
Schätzungen zufolge belaufen sich die Kosten für die Einhaltung von staatlichen Regularien auf rund 60 MrdUSD pro Jahr – ganz zu schweigen von den 400 MrdUSD pro Jahr, die für die Einhaltung
der Steuergesetze aufgewendet werden müssen.
Inzwischen meldet China weltweit die meisten Patente an, und die dortigen Unternehmen sichern sich wichtige Schutzrechte aus den Bereichen Robotik, Automatisierung und anderer High-Tech-Bereiche.
5. Staatliche Pensionsverpflichtungen
Gehütet von Lokalpolitikern ist eine riesige und weitreichende Last unbemerkt stetig angewachsen. Zu Zeiten auskömmlicher Anlagerenditen haben die Politiker den Empfängern von Pensionen großzügige Pakete gewährt, die beispielsweise Inflationsausgleich enthielten und heutzutage praktisch unbezahlbar sind. Die ohnehin schon angespannte Budget- und Einnahmensituation der Städte und staatlichen Pensionsfonds zusammen mit sinkenden Anlageerträgen kontrastiert mit unrealistischen Renditeerwartungen.
Wie im „alten Europa“, werden die realen Kosten für Wohlstand und Renten durch ein umlagefinanziertes System verschleiert. Mit dieser Dynamik fertig zu werden, wird eine der anspruchsvollsten strategischen und generationenübergreifenden Herausforderungen der westlichen Welt sein. Zudem haben nur etwa die Hälfte der Vollzeitbeschäftigten in den USA überhaupt Anspruch auf eine betriebliche Altersvorsorge.
6. Die Fed und die amerikanischen Banken
Trump hat den Einfluss der Federal Reserve berechtigterweise kritisiert und könnte schon bald in der Lage sein, die Zusammensetzung des Vorstands zu verändern. Mit so vielen ehemaligen Bankern in seiner Regierung wird er dennoch wohl kaum die Schieflage der US-Wirtschaft in Richtung Finanzsektor ändern. Seit den frühen 80er Jahren ist der Anteil des Finanzsektors am Bruttoinlandsprodukt von 7 % auf über 20 % angestiegen, möglicherweise mit negative Folgen: Eine IMF-Studie zeigt, dass ein überdimensionierter Finanzsektor das BIP um 2 % pro Jahr sinken lässt.
Quantitative Lockerungen und andere geldpolitische Aktivitäten vermitteln den Eindruck, die amerikanische Geldpolitik habe in Zusammenarbeit mit der Finanzindustrie agiert, für die niedrigere Zinsen einen höheren Hebel und steigende Vermögenswerte bedeuten.
Dieses Umfeld begünstigt große Kapitalgesellschaften gegenüber kleinen Hausbesitzern, die mit steigenden Hauspreisen, schärferen Kreditvergaberichtlinien und sogar
untergedeckten Hypotheken konfrontiert werden.
7. Leistungsansprüche
Es ist bizarr, dass ausgerechnet Trump als Milliardär bei der Wahl einen derart großen Zuspruch von den Menschen aus der Arbeiterklasse, dem klassischen Wählermilieu der Demokraten, erhalten hat. Ungeachtet dessen ist die Einkommensungleichheit in den USA mittlerweile so groß, dass sich ein Sozialstaat nach europäischem Prinzip entwickelt, in dem Transferleistungen der Regierung 20 % der Einkommen darstellen.
Darüber hinaus führen diese Transferzahlungen zu einer riesigen und ungedeckten Verbindlichkeit des Staates, die auf 8 bis 10 BioUSD geschätzt wird. Natürlich dürfen dabei auch die Staatsschulden in Höhe von 60 BioUSD für medizinische Versorgung und „Medicaid“ nicht vergessen werden, die in den kommenden Jahrzehnten fällig werden.
8. Politik aus der „Washington Bubble“
Der Frust Amerikas über den Regierungs-Stillstand und die Washington-„Blase“ ist in den letzten Jahren gewachsen. Dies führte zu getrübten Zustimmungswerten für den Kongress und den zunehmenden Verdacht, dass Interessensgruppen und Lobbyisten mehr Einfluss auf die Politik haben als der Wähler.
Trump hat versprochen, sich der festgefahrenen und nepotistischen Strukturen in der Verwaltung zu widmen, zum Beispiel durch längere Fristen für den Wechsel in die lukrativere Privatwirtschaft. Die Frage ist, ob dies innerhalb einer Legislaturperiode zu erreichen ist.
Wird das populistische Rezept funktionieren?
Für ein Land, das nicht nur die größte Wirtschaftsmacht ist, sondern auch eine der am meisten gefestigten Demokratien, sind die Herausforderungen sehr komplex und tief verwurzelt. Viele vor Trump haben versucht, sich dieser Probleme anzunehmen – mit unterschiedlichem Erfolg. Dennoch ist der aktuelle Status Quo in den Köpfen von Trump und seiner Anhänger ein Versagen, das direkt darauf zurückzu-führen ist, dass die Politiker damit beschäftigt waren, ihre eigenen Interessen zu verfolgen – und nicht die ihrer Wähler. Nun werden wir Zeuge einer neuen Politik, die die Ängste und Sorgen nicht nur in Trumps Amerika, sondern auch in Großbritannien und in anderen Ländern adressiert. Ob diese populistischen politischen Aktionen nur zu einer kurzfristigen Belebung der Wirtschaft oder zu langfristiger Genesung führen, bleibt abzuwarten.
Einige von Trumps Vorschlägen könnten funktionieren, aber sie sind auf die kurze Frist angelegt. Wenn sich die Regierung und andere Institutionen nicht den dringend notwendigen langfristigen Strukturreformen zuwenden, wird das Wirtschaftswachstum klein bleiben, die Verschuldung steigen und das Zinsniveau noch länger niedrig bleiben.
Das gilt über die Grenzen der USA hinaus. Die alternde Bevölkerung wird ihre Pensionsansprüche über Gebühr anwachsen lassen, während der Durchschnittsarbeitnehmer wenig Grund für Optimismus haben dürfte.