Österreich braucht ein moderneres Aktienrecht

Das österreichische Aktienrecht ist für mehr als 95 % der heimischen AGs unpassend. Rechtsexperten fordern daher ein differenziertes Regelungsregime für mehr Satzungsautonomie.

„Es gibt Themen, über die wir schon wesentlich mehr gestritten haben.“ So pragmatisch sieht der Justizsprecher der SPÖ Abg.z.NR Hannes Jarolim einen dringenden Wunsch aus Kapitalmarktjuristenkreisen: das heimische Aktienrecht zu flexibilisieren. Der Justizpolitiker sieht zumindest von seiner Seite „keinen riesigen Widerstand“, denn er „wüsste nicht, wo es wesentliche Hindernisse gäbe“. Eine bedürfnisgerechte „Formengestaltung“ sei „standortpolitisch sinnvoll“, meinte er bei der Podiumsdiskussion „Flexibilisierung des Aktienrechts“ im Haus der Industrie.

Historisch ist die AG als börsenotierte Publikumsgesellschaft konzipiert worden. Damit hängt der weitgehend zwingende Charakter ihrer Regelungen zusammen, der auf Anlegerschutz abzielt. In der Realität dominieren aber kapitalmarktferne AGs wie Konzern- und Familiengesellschaften. Die haben naturgemäß ein höheres Bedürfnis nach Flexibilität. Dem ist zwar der OGH ein Stück entgegengekommen und hat bei einer nicht börsenotierten AG ein satzungsmäßiges Vorkaufsrecht zugelassen. Aber welche anderen Bedürfnisse in der Satzung geregelt werden können, ist weiter unsicher. Daher fordern Kapitalmarktrechtsexperten vom Gesetzgeber, für Rechtssicherheit zu sorgen und so die Attraktivität der Rechtsform AG zu stärken – auch im internationalen Vergleich und z. B. für Start-up-Unternehmen.

Den Bedarf untermauert etwa Ulrich Torggler, Professer für Unternehmensrecht an der Uni Wien: Hierzulande gelte im Aktienrecht der „Grundsatz der Satzungsstrenge“ statt eines Grundsatzes der Satzungsautonomie. Historisches Leitbild für die Satzungsstrenge sei der „breit diversifizierende Investor“. Die Realität sehe aber anders aus. Nicht nur, dass die börsenotierten Gesellschaften unter allen AGs in der Minderheit sind. Auch der Blick auf die Gesellschafterstruktur der nicht-börsenotierten Austro-AGs zeigt: Fast 34 % der AGs sind im Eigentum eines einzigen Gesellschafters, weitere 29 % haben nur zwei Gesellschafter, so Torggler. Dem gegenüber gebe es nur 13 % nichtnotierte Austro-AGs mit mehr als sechs Gesellschaftern. Und von diesen „Publikumsgesellschaften“ haben überhaupt nur vier inländische Privatanleger. Torgglers deftige Folgerung: „Unser Grundsatz der Satzungsstrenge schützt jemanden, den es gar nicht gibt.“ Zweites Argument für Handlungsbedarf: In Frankreich, den Niederlanden, Finnland, Dänemark, Spanien, Irland, Luxemburg und im „European Model Company Act Draft 2015“ gebe es schon mehr Gestaltungsfreiheit für die AG als bei uns. In Anlehnung an ein bekanntes Motto fordert Torggler daher: Nachdem „Austria first“ bei mehr Satzungsautonomie für geschlossene AGs nicht mehr geht, sollte Austria in der Gestaltungsfreiheit zumindest „not last“ sein. Zur Diskussion steht diesbezüglich, ob die Satzung etwa folgende Themen regeln können soll: Zustimmungsvorbehalte und sogar ein neues Weisungsrecht der HV, erweiterte Befugnisse der HV für die Feststellung des Jahresabschlusses und für die Gewinnverwendung, Erleichterung des Haftungsregimes, Erleichterung des Rückkaufs eigener Aktien, Auswahlkriterien für Vorstand und Aufsichtsrat, weitere Entsendungs- und Nominierungsrechte und gar ein monistisches Board-System. Susanne Kalss von der Wirtschaftsuni Wien sieht den heimischen Gesetzgeber gefordert. Denn „Brüssel interessiert heute vor allem die börsenotierte AG. Wir können uns daher nicht auf Brüssel ausreden“. Was wir dringend bräuchten, sei die „Lockerung des zwingenden Korsetts“ unseres Aktienrechts. Das ginge „ohne Kosten, aber wäre für den Standort Österreich attraktivitätssteigernd“.          

Autor: Mag. Manfred Kainz (redaktion@boersen-kurier.at)