Banken, Versicherer und Fondsgesellschaften im Visier Warschaus

Das Rennen ist unter den Union-Ländern eröffnet: Wer kann mehr Arbeitsplätze nach dem Brexit von London anlocken? Polen könnte gegenüber Frankreich und Deutschland die Nase vorn haben.

Es gibt einen Wettlauf zwischen Deutschland und Frankreich, beide Länder wollen nach dem Brexit die Londoner Top-Investmentbanker anlocken. Währenddessen warf Polen ein Auge auf die mittlere Ebene der Finanzwelt, auf der die Entlohnung niedriger ist, es jedoch mehr Beschäftigte gibt, schreibt Reuters.

Umkehr
Seit 2004, als Polen der Europäischen Union beitrat, wanderten zahlreiche Landsleute nach Großbritannien aus. Die Regierung will jetzt möglichst viele von Polen besetzte Jobs in die Heimat bringen. Der polnische Interessensverband der Wirtschaftsdienstleister arbeitet mit sieben Finanzfirmen zusammen an einem Projekt, um die Arbeitsplätze nach Polen umzusiedeln, sagt Pawel Panczyj, Direktor der Organisation, zur Nachrichtenagentur. Im Fokus des Projekts stehen sogenannte „Mid-office-Stellen“ etwa im Bereich des Risikomanagements und von Dienstleistungen im Informatik-Sektor.

„Wir verhandeln mit Banken, Versicherern und Fondsgesellschaften, die ihre Geschäftstätigkeit ins Ausland verlagern wollen. Ihre Motivation ist in der jetzigen Situation hauptsächlich der Brexit“, ergänzt Panczyj. Die Bemühungen könnten von Erfolg gekrönt sein. Laut den Schätzungen des Chefs einer globalen Investmentbank gegenüber Reuters werden 20 % ihrer Londoner Stellen nach Polen umgesiedelt.

Die Brexit-Stimmung im letzten Sommer zwang die Banken und Finanzdienstleister, eine neue Basis in einem Unionsstaat zu finden, um ihre EU-Kunden störungsfrei bedienen zu können. Wenn schon eine Reorganisation nötig ist, möchten sie gleichzeitig Kosteneinsparungen durchführen. Somit werden auch solche Bereiche umgesiedelt, die trotz des Brexit eigentlich in Großbritannien bleiben könnten.

Finanzzentrum Polen
Polen ist bereits ein bedeutendes Zentrum für die internationalen Banken. Laut Schätzungen siedelten diese in den vergangenen Jahren zwischen 35.000 und 45.000 Arbeitsplätze dorthin. Die zwei größten sind Credit Suisse und UBS, die bedeutende IT- und Back-Office-Zentren im Land haben. Aufgrund der qualifizierten Arbeitskräfte, des niedrigen Lohnniveaus und der guten Büroinfrastruktur fangen Finanzkonzerne damit an, auch anspruchsvollere Tätigkeiten, wie das Risikomanagement oder die Produktentwicklung, nach Polen zu transferieren.

Denn die Welt hat sich auch für die Investment-Banken verändert. Weniger hoch bezahlte Broker und Front-Office-Mitarbeiter werden gebraucht, die Mehrheit der Handelssysteme funktioniert automatisch. Der Fokus wurde auf die Bereiche Compliance und IT verschoben, um der strengeren regulatorischen Umgebung zu entsprechen.

Falsches Ziel
Wenn Deutschland und Frankreich um die Stellen der Front-Line-Banker kämpfen, konkurrieren sie um einen Bereich, der immer mehr an Bedeutung verliert. Die Lobbygruppen der Londoner City schätzen, dass jeweils nur 10.000 Arbeitsplätze in den folgenden Jahren nach Frankfurt und Paris übersiedeln werden. In Gegenzug hofft die polnische Regierung, dass sie 25.000 bis 30.000 Stellen, Großteils davon im Dienstleistungssektor, schon in diesem Jahr anlocken kann.

Mehr und mehr in Großbritannien lebende Polen finden es spannend, wieder in ihre Ursprungsheimat zu gehen, da auch immer mehr Großbanken ihre Aktivitäten in den 40-Mio-Einwohner-Staat umsiedeln. Es hebt das Lohnniveau an, sagt Marta Aserigadu, Berater der Manpower Group, zu Reuters. Die Polen können nun bei multinationalen Unternehmen Führungspositionen besetzen, ohne ins Ausland emigrieren zu müssen. Sie haben die Möglichkeit, eine internationale Karriere zu machen, und somit ist es dafür nicht mehr nötig, nach London auszuwandern und dort ein Einwanderer-Leben zu führen.

Die regierende polnische Rechts-und-Gerechtigkeit-Partei vertritt meist einen protektionistischen Standpunkt gegenüber ausländischen Banken, aber für Investmentbanken gilt dies nicht. Diese können Arbeitsplätze und extra Steuereinnahmen generieren, ohne Zunahme eines „Fremd-Einflusses“ auf dem heimischen Finanzsektor.

Damals wanderten die Polen nach London aus, aber jetzt ist es umgekehrt, verkündete der Vize-Premierminister Mateus Morawiecki bereits zu Beginn des Jahres stolz.

Autor: András Lovas-Romváry (redaktion@boersen-kurier.at)