Erholung noch nicht Lösung aller Probleme – Analyse von Harvard-Professorin Carmen Reinhart

Ökonomen erwarteten Anfang des Jahres, dass die USA Donald Trumps ihre Konkurrenten überflügeln würden. Doch die positiven Wirtschaftsnachrichten kommen aus Europa.

Ende Juli korrigierte der Internationale Währungsfonds seine Wachstumsprognosen für die Eurozone nach oben. IWF-Chefvolkswirt Maurice Obstfeld beschrieb die jüngsten Entwicklungen der Weltwirtschaft als eine sich „stabilisierende Erholung”. Außerdem rechnet man damit, dass das Wachstum auch in den entwickelten Ökonomien Asiens an Fahrt gewinnt.

Wie ich in einem früheren Kommentar bereits ausführte, ist Island, wo die Finanzkrise 2007 ihren Lauf nahm, bereits seit einiger Zeit mit einer neuen Welle von Kapitalzuflüssen konfrontiert, die Anlass zur Sorge vor einer möglichen Überhitzung geben. Kürzlich gelang es dem gebeutelten Griechenland zum ersten Mal seit Jahren, auf den globalen Märkten Geld aufzunehmen. Mit einer Rendite von mehr als 4,6 % wurden die Anleihen begeistert gekauft.

Offizielle Vertreter Griechenlands und Europas priesen den Anleiheverkauf als Meilenstein für ein Land, das seinen Zugang zu den weltweiten Kapitalmärkten im Jahr 2010 einbüßte. Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras sagte, die Anleihenausgabe wäre ein Zeichen, dass sich sein Land auf dem Weg in Richtung des definitiven Endes seiner langjährigen Krise befände. Und in den USA trägt der laufende Ausstieg der Fed aus der ultralockeren Geldpolitik nach der Krise zu dem Gefühl bei, dass wieder normale Zeiten anbrechen.

Aber ist das wirklich der Fall? Bedeuten die jüngsten Entwicklungen in den Industrieländern, dass die brutalen Nachwirkungen dieser Krise endlich überwunden sind?

Ungeachtet aller guten Neuigkeiten erscheint eine Siegeserklärung in diesem Stadium (selbst ein Jahrzehnt später) verfrüht. Erholung ist noch keine Lösung eines Problems. Vielleicht ist es lehrreich, sich in Erinnerung zu rufen, dass sich Erholungsphasen im Anschluss an langwierige Krisen, so auch nach der Großen Depression der 1930er Jahre, ohne die Lösung der grundlegenden Probleme wie exzessiver Verschuldung und schwacher Banken in der Regel als oberflächlich und wenig nachhaltig erwiesen.

Während des „verlorenen Jahrzehnts“ der lateinamerikanischen Schuldenkrise in den 1980er Jahren wiesen Brasilien und Mexiko 1984 und 1985 eine erhebliche und vielversprechende Steigerung des Wirtschaftswachstums auf – bevor gravierende Probleme auf dem Bankensektor, ein ungelöster Überhang an Auslandsschulden und mehrere fehlgeleitete innenpolitische Initiativen diese Erholung beendeten. Das Vermächtnis aus der Zeit nach der Krise wurde erst etliche Jahre später mit der Wiederherstellung fiskalischer Nachhaltigkeit, der Abschreibung von Schulden unter dem so genannten Brady-Plan und der Umsetzung einer Reihe nationaler Strukturreformen überwunden.

Die Eurozone ging aus der Finanzkrise mit einem gewissen Maß an wirtschaftlicher Dynamik hervor. Anders als die Fed jedoch erhöhte die EZB Anfang 2011 die Zinsen und trug damit dazu bei, dass die Region noch tiefer in die Krise schlitterte.

Die Geschichte rät also zur Vorsicht bevor man zur Schlussfolgerung gelangt, dass die derzeitige Erholung das Zeug zu einer nachhaltigen und breit angelegten Aufwärtsentwicklung hat.

Alle entwickelten Ökonomien weisen (in unterschiedlichem Ausmaß) signifikante Altlasten (in Form öffentlicher und privater Schulden) auf. Niedrige Zinssätze verringern zwar die Last aufgrund dieser Schulden (tatsächlich sind negative reale Zinssätze eine Steuer für Anleiheinhaber), aber die Zinssätze befinden sich im Steigen.

Der Austritt Großbritanniens aus der EU – und die mittelfristigen Folgen des Brexit auf die britische Wirtschaft – stellen eine weitere Gefahrenquelle dar, der es sich anzunehmen gilt. Wie Japan seinen Überhang öffentlicher und privater Schulden abbauen will, bleibt ebenfalls erst abzuwarten. Ich habe an anderer Stelle ausgeführt, dass Inflation wohl ein Teil der Lösung sein wird, weil es unwahrscheinlich ist, dass eine alternde Bevölkerung für eine Anhebung der Steuerlast und eine Senkung der Leistungen stimmen wird, die ausreicht, um Japans Schuldenlast zu senken.

In Europa bleibt das hohe Ausmaß an notleidenden Krediten weiterhin eine Belastung für das Wirtschaftswachstum, weil dadurch die Schaffung neuer Kredite verhindert wird. Überdies stellen diese uneinbringlichen Forderungen für manche Regierungen erhebliche Eventualverbindlichkeiten dar. Target2, das Echtzeit-Brutto-Zahlungsverkehrssystem des Euro, hat sich in der Eurozone zum Mechanismus für die Finanzierung der sich ausweitenden strukturellen Zahlungsbilanz-Unterschiede entwickelt, wobei das Kapital aus Südeuropa nach Deutschland fließt. Griechenland, Italien, Portugal und Spanien müssen nun auch die stark ansteigenden Zentralbankschulden in die öffentlichen Schulden einrechnen.

Die vielleicht wichtigste Lehre besteht darin, dass man noch mehr Vorsicht walten lassen sollte, wenn es um die Entscheidung geht, ob die Zeit reif für eine „Normalisierung“ der Geldpolitik ist. Selbst im günstigsten aller Erholungsszenarien wären politische Entscheidungsträger schlecht beraten, die für eine Senkung der Risikoprämien notwendigen Strukturreformen und fiskalische Maßnahmen einfach aufzuschieben.

Autorin Carmen Reinhart ist Professorin für das internationale Finanzsystem an der Kennedy School of Government der Universität Harvard. Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier, © Project Syndicate 1995 – 2017