Auf drei Beinen steht es sich besser

Die Faktenlage ist erdrückend: Wer nicht spätestens heute auch privat vorsorgt, dem drohen in der Pension spürbare Einkommenseinbußen – und somit eine eindeutig geringere Lebensqualität. Denn das staatliche Wohlfahrtssystem stößt zusehends an seine Grenzen.

Es ist längst Realität: Der Generationenvertrag kann das, was er einst versprochen hat – nämlich die Pensionen über Einzahlungen der Erwerbstätigen in bisher gewohnter Höhe dauerhaft und nachhaltig zu garantieren – nicht halten. Zu stark hat sich das Verhältnis der Personen im erwerbsfähigen Alter (also der 15- bis 59-Jährigen) zugunsten der Bevölkerung der über 60-Jährigen verschoben: Lag dieses bis vor Kurzem noch bei rund drei zu eins, so liegt die Relation heute bei rund 2,6 und wird bereits ab 2025 unter zwei zu eins liegen, so die Statistik Austria.

Und das bei einem schon jetzt schwer belasteten Beitragssystem, wie Bernd Marin, Sozialwissenschafter und Leiter des European Bureau for Policy Consulting and Social Research, dem Börsen-Kurier vorrechnet: „Zu den Beiträgen von 22,8 %, die in Form von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberabgaben in das Umlageverfahren fließen, sind ja auch die aus Steuern finanzierten Bundeszuschüsse für Pensionsleistungen zu addieren.“ In Summe zweige der Staat mehr als ein Drittel der Erwerbseinkommen für die Pensionen ab. Weit mehr als in Deutschland mit etwa 26 %, wie Marin betont.

Aber nicht nur bei diesen Fakten müssten sowohl für die politischen Entscheidungsträger als auch für den Einzelnen sämtliche Alarmglocken klingeln.

Die Quadratur des Kreises

Die Parameter verheißen tatsächlich nichts Gutes: Mit einem Anteil am BIP 2015 von 13,9 % belegt Österreich den unrühmlichen fünften von 54 Rängen der weltweit höchsten Pensionsausgaben, wie in der Ende 2016 von der Allianz Versicherung veröffentlichten Studie zum „Pension Sustainability Index“ steht. Dessen Spanne reicht von schweren 16 bis zu leichten 0,7 % Belastung (Griechenland bzw. Singapur) – Deutschland liegt mit einem BIP-Anteil von 10,1 % auf Rang 15.

Bedenklich stimmt, dass hierzulande bereits rund 3 % der Pensionsausgaben vom Bund zugeschossen werden, während nur 11 % aus dem Umlageverfahren stammen – Tendenz stark steigend: Unter den aktuellen Bedingungen dürfte sich schon 2030 der Bundeszuschuss überproportional auf einen BIP-Anteil von 6 % verdoppeln, die Pensionsausgaben insgesamt bei 19 % liegen.

Die Ursachen dafür sind vielfältig – und durchaus absehbar, weswegen ein Gegensteuern schon längst fällig gewesen wäre. Allerdings fehlt dazu weiterhin der politische Konsens und, wie Elisabeth Stadler, Vorstandsvorsitzende der Vienna Insurance Group (VIG), bedauert, die sachliche und objektive Diskussion. Denn: „Das bestehende System ist zwar ziemlich robust, die Leistungen werden in der derzeitigen Höhe aber auf längere Sicht nicht aufrechtzuerhalten sein.“

Aus mehreren Gründen

Der viel bemühte demografische Wandel ist dabei der populärste – und wohl auch der überzeugendste, wenngleich nicht der einzige wichtige Faktor: Bis 2030 steigt die Lebenserwartung für Männer laut Schätzung der Statistik Austria um 3,5 % auf 81,9 Jahre, jene für Frauen um 2,7 % auf 86,3 Jahre. Gleichzeitig dürfte die durchschnittliche Kinderzahl pro Frau bei 1,53 stagnieren. Dazu kommt, dass 2030 bereits jeder dritte Österreicher älter als 60 Jahre sein wird und in den kommenden 20 Jahren, laut Allianz Versicherung, mit der Babyboom-Generation etwa 750.000 Menschen in Pension gehen werden – genauso viele wie in den letzten 60 Jahren. All das lastet schwer auf dem Generationenvertrag.

Österreichische Besonderheiten

Ein weiterer Stolperstein sind die österreichischen Besonderheiten. Etwa die im internationalen Vergleich steile Einkommenskurve, wonach laut OECD der Mehrverdienst der 55- bis 59-Jährigen gegenüber den 25- bis 29-Jährigen bei 58 % liegt (EU-Schnitt: 35 %). Oder die bis 2034 verzögerte Angleichung des Frauenpensionsalters von 60 Jahren an jenes der Männer mit 65 Jahren. Ein Unikum, wie Marin betont: „Einen Unterschied von fünf Jahren beim Pensionsantrittsalter gibt es sonst nirgendwo mehr. Österreich ist das Schlusslicht bei der vom EuGH vorgeschriebenen Angleichung innerhalb der EU, nach uns kommt nur noch die Türkei.“ Was auf den ersten Blick für Frauen verlockend aussehen mag, ist es auf den zweiten keineswegs – zu sehr werden auch dadurch Job- und Einkommenschancen unterminiert.

Wenn also weniger Erwerbstätige mit anfangs niedrigerem Einkommen und folglich geringerem Ansparpotenzial auf einen drastischen Anstieg von Ruhestandsbeziehern stoßen und den Frauen unerwünschte Bremsen in den Weg gelegt werden, muss es zwangsläufig zu Verwerfungen im tradierten Pensionssystem kommen. Um diesen zu begegnen, ist zweifellos der Staat gefragt. Aber auch jeder Einzelne.

Die Stellschrauben

Eigentlich gibt es auf politischer Ebene nur vier Möglichkeiten, dem Finanzierungsproblem in der Pension Herr zu werden: die Erhöhung des Antrittsalters, der Beitragszahlungen oder der Staatszuschüsse und die Reduzierung der Pensionsauszahlungen. Umso wichtiger ist es, die Altersvorsorge endlich neu zu denken und dem auf der staatlichen, betrieblichen und individuellen Vorsorge beruhenden Drei-Säulen-Prinzip auch hierzulande Raum zu schaffen.

„Das Hauptproblem in Österreich ist, dass Grundregeln schlichtweg missachtet werden“, moniert Andreas Csurda, Vorstandsmitglied der Allianz Pensionskasse. Schließlich laute eine der wichtigsten Regeln in der Veranlagung wie auch beim Aufbau der Altersvorsorge, nicht alles auf eine Karte zu setzen. Aber genau das sei mit dem fast blinden Vertrauen ausschließlich in die erste Säule, sprich die staatliche, umlagefinanzierte Pensionsvorsorge, der Fall.

Die Alternative, also die kapitalgedeckte, selbst finanzierte Pensionsvorsorge ist landesweit tatsächlich noch unter repräsentiert. Laut OECD liegt diese unter 4 %, der weltweite Schnitt allerdings bei rund 17 %. Speziell in der betrieblichen Altersvorsorge gebe es einen enormen Nachholbedarf, wie Kurt Molterer, Chef der Nürnberger Versicherung Österreich, an einem Beispiel deutlich macht: „So ist etwa seit den 1970er Jahren der Jahresbeitrag für die entsprechende Gehaltsumwandlung mit 300 Euro limitiert.“ Politisch scheint also so manches versäumt worden zu sein.

Die Alternativen

Umso dringlicher fordern die Versicherer nach entsprechenden Maßnahmen, die zweite, sprich betriebliche, und die dritte, also private Vorsorge zu fördern – etwa, wie Molterer vorschlägt, auch über das in Deutschland längst verankerte EET-Prinzip. Dieses sieht Steuerfreiheit sowohl bei den Beiträgen für die Firmen- und die Privatpension vor als auch bei den daraus erwirtschafteten Gewinnen, lediglich die Auszahlungen im Ruhestand wären zu besteuern.

Speziell die Sozialpartner seien gefragt, wie Allianz-Mann Csurda ergänzt: „Die österreichischen Gewerkschaften stellen die erste Säule in den Mittelpunkt ihres Interesses und agieren dabei leider wie die Hüter des Grals.“ Eine vollkommen anachronistische Vorgangsweise, wie etwa am deutschen Beispiel abzulesen wäre, wo sich die Gewerkschaften für den Aufbau der zweiten Säule stark machen: „Hier wurde vor Kurzem ein wirklich revolutionäres System für die betriebliche Altersvorsorge eingeführt: Diejenigen, die gar keine Steuern zahlen beziehungsweise wenig verdienen, werden über ein Prämienmodel gefördert, den Besserverdienern winkt die Absetzbarkeit über die Werbungskosten.“ Durchaus kopierfähig, so Csurda. Zumal, so Marin, erst rund 4 % der Österreicher von Einkünften aus der betrieblichen Vorsorge profitieren: „Das gehört dringend reformiert und sollte längst in allen Kollektivverträgen, den Betriebsvereinbarungen und einzelnen Arbeitsverträgen festgezurrt sein. Allein mit 500 Euro pro Monat würde sich die Rente von drei Viertel aller Pensionisten um ein Drittel erhöhen.“

Ähnlich ernüchternd ist die Lage bei der privaten Vorsorge: Erst 46 % der österreichischen Haushalte hätten, so der VVO, dem Verband der Versicherungsunternehmen Österreichs, einen Lebensversicherungsvertrag abgeschlossen. Laut Stadler von der VIG liegt das Problem darin, dass „in Österreich die Verantwortung für die Vorsorge beim Staat gesehen wird, weil die ASVG-Pension als Absicherung des Lebensstandards konzipiert ist“. Eigeninteresse und Eigenverantwortung seien schlichtweg unterentwickelt. Dabei hätten die Versicherungen ein essentielles Alleinstellungsmerkmal: „Eine lebenslange Rente in einer definierten Höhe berechnen und auszahlen zu können ist unsere primäre Aufgabe.“

Auf Staat kaum Verlass

Mit dem Abschluss einer Lebensversicherung wird tatsächlich dem sogenannten Langlebigkeitsrisiko begegnet, also der Tatsache, länger zu leben als angespartes Kapital zur Verfügung steht. Der privaten Vorsorge wird aber auch damit nur zum Teil Genüge getan. Zu hoch ist mit der steigenden Lebenserwartung das Risiko der Pflegebedürftigkeit, zu groß etwa die Gefahr der Berufsunfähigkeit. Themen, die hierzulande noch kaum wahrgenommen werden. Ein großer Fehler.

Dabei ist, so Peter Eichler, Vorstand der UNIQA Österreich, „eine Berufsunfähigkeitspolizze vor allem für jene essentiell, die einen Großteil des Familieneinkommens beitragen, oder als Berufseinsteiger und Selbstständige aktiv sind.“ Während für den Worst-Case in Deutschland bereits jeder Dritte vorsorgt, führe die Vorsorge für die Berufsunfähigkeit in Österreich noch ein Schattendasein – was auch daran liege, dass das Produkt komplex und relativ teuer sei: „Die Absicherung für eine Büroangestellte im Alter von 35 Jahren, die im Fall der Fälle 1.500 Euro monatlich von der Versicherung erhalten will, kostet derzeit rund 46 Euro pro Monat.“

Eines ist klar: Am Abschluss einer Lebensversicherung führt im Sinn einer individuellen Vorsorge kein Weg vorbei. Alfred Leu, Österreich-Chef der Generali, bringt das folgendermaßen auf den Punkt: „Als Lebensversicherer begleiten wir unsere Kunden in einem systematischen Ansparprozess, um Schritt für Schritt Vermögen aufzubauen.“ Diese Disziplinierung lohne sich je früher man damit beginne, denn der Zinseszinseffekt wirke auch bei kleinen Beträgen.

Das zeigt sich etwa am folgenden Rechenbeispiel für eine monatliche Ersparnis von  30  Euro über 30 Jahre am Sparkonto: Mit 2 % verzinst, ergibt sich über diese Zeitspanne dank des Zinseszinseffektes statt der einbezahlten 10.800 Euro die stattliche Summe von 14.762,25 Euro (ohne KESt-Abzug).

„Wenn auch in Zukunft das umlagefinanzierte staatliche System ein Kernelement der Pension sein wird, so wird eine Ergänzung durch beitragsbasierte Lösungen immer wichtiger“, meint Leu. Und dass müsse über Bewusstseinsbildung und steuerliche Anreize in Schwung gebracht werden.

Autorin: Mag. Caroline Millonig  (redaktion@boersen-kurier.at)