Im Würgegriff der Bürokratie

Immer mehr wird die wirtschaftliche Freiheit durch staatliche Eingriffe eingeschränkt, was insbesondere für Banken gilt und wiederum negative Auswirkungen auf die Realwirtschaft hat.
Der Börsen-Kurier im Gespräch mit Barbara Kolm, der Präsidentin des Friedrich August von Hayek Instituts.

In allen Bereichen unserer Gesellschaft wechselten Zeiten mit extrem starker Regulierung mit Phasen weitestgehender Deregulierung ab. Die Entwicklungen der vergangenen Jahre aus der Vogelperspektive skizziert Barbara Kolm uns gegenüber so: „In den vergangenen zwei Jahrzehnten ist das Ideal der individuellen Freiheit durch immer mehr staatliche Eingriffe auf unser Privatleben unter dem Deckmantel des Konsumentenschutzes eingeschränkt worden. Regulierung und Harmonisierung von Produktvorschriften treffen alle produzierenden Betriebe, alle Unternehmen von KMUs bis zu multinationalen Konzernen und senkt Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit.“ Vor allem Europa ist betroffen. „In Europa ist der aktuelle Regulierungstrend besonders rasant und bringt KMUs, deren Anpassungsprozesse nicht so schnell erfolgen, in Probleme und Kreditklemmen“, ergänzt Kolm.

Staatsfinanzierung faktisch zum Nulltarif
Die heutige Regulierungswelle im Finanzsektor hat eine lange Vorgeschichte: „Spätestens seit 1988 (Beginn des Basel-I-Prozesses, Anm.) unterliegt die moderne Finanzindustrie neuen Gesetzmäßigkeiten. Die Finanzkrise förderte offensichtliche Mängel zu Tage. Falsche Analysen führten zur vermeintlichen Lösung: der ohnehin schon extrem regulierten Bankenwelt wurden weitere Korsette angelegt, um die Finanzwirtschaft in die Knie zu zwingen“, zeigt Kolm die Hintergründe. Diese erhöhten Eigenkapital-Vorschriften führten laut Kolm zu massiven Portfolioumschichtung hin zu Staatsanleihen und Reduktion von Risikoprodukten. Dies kreierte zusätzliche Anreize auf staatlicher Ebene, unvernünftige Budgetpolitik und Überschuldung fortzusetzen. Staaten bekommen teils Negativzinsen, sprich Geld fürs Schuldenmachen, während Firmen immer schwerer Kredite bekommen, denn:

Auf strengere Regulierung folgt Kreditklemme
Auf Basel III folgt nun Basel IV – noch strenger und restriktiver: Ziel der Basel-IV-Maßnahmen ist es, laut Bundesverband deutscher Banken und BDI, grundsätzlich, die Variabilität in der Berechnung der sogenannten risiko-gewichteten Aktiva (RWA) durch die Banken zu verringern.

Unter Basel IV unterliegen Banken nämlich im Einsatz ihrer bisherigen internen Risikorechenmodelle bei manchen Asset-Klassen Restriktionen und sie werden zum Einsatz standardisierter Verfahren gezwungen, aus deren Berechnung tendenziell höhere „Ausfallsrisiken“ resultieren. Somit steigt die risikogewichtete Aktiva europäischer Banken laut einer Studie von PWC um 40 bis 65 % oder um 7 Bio Euro! Mehrere hundert Milliarden Euro an zusätzlichem Kapital würden die Banken benötigen oder sie müssten die Risikoaktiva entsprechend abbauen. Letzteres ginge unter anderem über eine Kreditrestriktion. Diese würde kombiniert mit der Niedrigzinspolitik der EZB laut Kolm eine Todesspirale für Unternehmen bedeuten.

Hinzukommen prozyklische Regelungen, wie das IFRS-9-Impairment-Modell: Hier soll die Berechnung der Risikovorsorge über den vorausblickenden „Expected Lifetime Loss“ (ELL-)Ansatz für erwartete Ausfälle einer zu späten Risikovorsorgebildung entgegenwirken. Die Lifetime-Komponente sorgt im Falle einer Bonitätsverschlechterung für die Bildung einer höheren Risikovorsorge, was häufiger in Rezessionsphasen auftritt. Die Folgen erklärt Kolm gegenüber dem Börsen-Kurier: „Die prozyklischen Regelungen erhöhen die Gefahren einer Krise drastisch. Alle neuen Regeln zusammen zwingen Banken und deren Refinanzierer dazu, sich nur mehr im Kurz- bis Mittelfristbereich zu bewegen. Langfristfinanzierungen z. B. im Immobilienbereich oder bei großen Maschineninvestitionen werden dann nur zu deutlich schlechteren Konditionen wenn überhaupt angeboten. Unternehmen wird deutlich höhere Eigenfinanzierung abverlangt werden.“

Noch mehr Bürokratie versus Eigenverantwortung
Kolm nennt noch ein weiteres Beispiel für Regulierung, die bei den Betroffenen auf wenig Begeisterung stößt: „Als bürokratisch, komplex, teuer und als ein Hemmniss für Konkurrenz- und Innovationsfähigkeit wird Solvency II eineinhalb Jahre nach dessen Start vom Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft beschrieben“ (Quelle: 2017 GDV www.gdv.de). Doch hochrangige Vertreter der EU wollen noch mehr: „Dem stehen Ankündigungen wie die Junckers in seiner Rede vom 13. September entgegen, die noch extensivere Eingriffe in die unternehmerische Freiheit und noch mehr zentrale Planwirtschaft aus Brüssel befürchten lassen“, erläutert Kolm und fordert ein Umdenken: „Um der Überregulierung Herr zu werden, müssen wir uns als Individuen wieder auf Eigenverantwortung rückbesinnen und auf institutioneller Ebene neue Lösungen zulassen, z. B. den Wettbewerb von internationalen Institutionen (Sonderwirtschaftszonen, Seasteading etc.).“ Die Analyse der Folgewirkungen, höhere Transparenz und Reduktion des Tempos der Regulierungsagenda sind weitere Optionen, die sofort realisierbar sind. Das Umsetzen lang diskutierter Maßnahmen, wie die Einführung einer Gesetzes- und Regulierungsbremse (one in two out), Opting-out-Möglichkeiten oder sunset clauses müssen konsequent realisiert werden.“ Die wichtigste Voraussetzung zur Lösung der beschriebenen Probleme ist für Kolm jedoch „eine Trennung von Geld- und Fiskalpolitik“.

Autor: Michael Kordovsky (redaktion@boersen-kurier.at)