Kundenberatung, und wie man sie kaputt macht
Banken und Vermögensverwalter haben eine ganze Menge von Verpflichtungen, wenn sie einen Kunden beraten und ihm dann für ihn passende Wertpapiere kaufen wollen. Die Erfüllung all dieser Pflichten ist so aufwendig, dass sich viele Beratung nicht mehr leisten können – auf der Strecke bleibt der Anleger
Zählen wir einmal nur die wichtigsten auf: Noch bevor man irgendein Wertpapier empfiehlt und am Ende auch verkauft, ist zunächst ein Kundenprofil zu erstellen, das insbesondere die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Kunden und damit seine Fähigkeit zum Tragen von Risken, parallel dazu seine Bereitschaft zum Eingehen von Risken, seine eigenen Veranlagungsziele, seine Kenntnisse von und seine Erfahrungen mit Wertpapieren festhält. Daraus ist sodann die Risikoklasse zu erstellen, in die der Kunde einzuordnen ist. Wertpapiere dürfen ihm nur dann und insoweit verkauft werden, als sie in diese Risikokategorie passen.
Weiters ist zu überprüfen, ob die Gelder, die der Kunde veranlagen möchte, aus einwandfreien Quellen stammen und nichts mit Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung zu tun haben. Diese Kontrolle ist ohne Untergrenze vorzunehmen. Außerdem ist zu überprüfen, ob der Kunde nicht ein „PEP“ ist, eine politisch exponierte Person.
Unzählige Verpflichtungen
Das ist aber erst der Anfang. Weitere Verpflichtungen seien hier wegen ihres Umfanges nur stichwortartig genannt: Informationen sind dem Kunden zu liefern über die vorgenommene Einstufung in eine bestimmte Risikoklasse, über sämtliche Kosten und Nebenkosten, über die Finanzprodukte und deren Eignung erstens für den Kunden, zweitens die Zielmarktdefinition, mit der in Zukunft jedes Produkt ausgestattet sein muss, drittens die Prüfung der Übereinstimmung von Zielmarktdefinition und Kundenprofil, und natürlich über den Berater bzw. Verkäufer selber. Spricht man mit dem Kunden per Telefon, so ist das Gespräch selbst dann aufzuzeichnen, wenn es nicht zu einem Wertpapiergeschäft führt. Aus Gründen des Datenschutzes kann aber ein Kundenbetreuer sich nachher nicht einfach das von ihm selbst geführte Gespräch abhören, um sicher zu gehen, was genau ausgemacht worden ist, sondern er braucht dazu die Zustimmung eines Supervisors, der zwar keine Ahnung haben muss, aber angeblich irgendwie für den Datenschutz notwendig ist.
Sollte es zu einem Interessenkonflikt kommen können (weil beispielsweise der Verkäufer ein eigenes Interesse an derartigen Transaktionen hat, das über die Spesenverrechnung beim Geschäft hinausgeht), so ist die Natur dieses Interessenkonfliktes dem Kunden gegenüber offen zu legen.
Kommt es dann tatsächlich zu einem Wertpapiergeschäft, so hat die Bank die Transaktion spätestens am nächsten Tag der Aufsichtsbehörde zu melden. Auch der Kunde bekommt während der laufenden Geschäftsbeziehung reichlich Informationen. Und zwar nicht nur, wieviel und welche Wertpapiere er im Depot hat und wieviel sie anfangs gekostet haben und was sie aktuell wert sind, sondern auch, wie sich das Depot im Vergleich zu einer zu vereinbarenden Vergleichsgröße (das kann z. B. ein Index oder eine Kombination von Indizes sein) entwickelt hat, ferner, sobald insgesamt ein Verlust von 10 % oder mehr eingetreten ist. Das Ex-ante-Kostenreporting ist durch ein Ex-post-Kostenreporting zu ergänzen, und auch die Eignung der verkauften oder vermittelten Wertpapiere für den Kunden ist zumindest einmal jährlich zu überprüfen.
Zu wenig Zeit für Beratung
Nur der Klarheit halber: all das hat sich zusätzlich zur eigentlichen Beratung abzuspielen, deren Qualität ja letztlich doch entscheidender sein sollte als alle Vorschriften.
Für (fast) jede einzelne dieser Verpflichtungen gibt es mehr oder weniger gute Argumente. Aber nach Ansicht aller Kundenberater, mit denen ich gesprochen habe, und das sind nicht wenige, ist die Erfüllung all dieser Verpflichtungen so aufwendig, dass weder Vermögensberater noch Banken sich diese umfängliche Betreuung finanziell leisten können, wenn es nicht um große Beträge geht. Viele Banken haben daher bereits die Konsequenzen gezogen. Etliche weigern sich auch schon in Österreich, Kunden mit Beträgen unter 100.000 Euro überhaupt eine individuelle Beratung zukommen zu lassen. Am konsequentesten war bisher die Deutsche Bank. Kunden, die weniger als 500.000 Euro zu veranlagen haben, werden nicht mehr individuell beraten. Die Dummen sind also in diesem Fall nicht nur wie üblich die Kleinen, sondern auch Sparer, die man zumindest dem Mittelstand zurechnen kann.
Offenbar gilt auch in diesem Fall einer Fülle von Regelungen der alte Erfahrungssatz, dass gut gemeint so ziemlich das genaue Gegenteil von gut ist. Der Ausweg besteht darin, dass statt individueller fast nur mehr standardisierte Beratung angeboten werden wird. Die wird selten den Kundenbedürfnissen besser entsprechen als individuelle Beratung. Allerdings tritt zugleich eine ganz andere Gefahr in den Vordergrund. Kunden, vor allem jüngere, die nicht mehr individuell beraten werden, informieren sich eben über das Internet. Nur werden aber leider im Internet neben seriösen Tipps auch jede Menge von zweifelhaften und für die meisten Kunden völlig unpassenden Veranlagungen angeboten. Das allerdings in reißerischer und leider trotzdem auch in recht professioneller Form, zumindest was die Beeinflussung der Psyche von Anlegern betrifft. Das neueste ist übrigens die Legalisierung von Wetten auf den Kurs des Bitcoin. Dagegen ist ein Casino-Besuch vergleichsweise harmlos.
Gefährliches Internet
Die Zukunft könnte daher zunehmend so aussehen, dass Anleger Produkte haben wollen, die für sie absolut nicht geeignet sind, ihnen aber via Internet erfolgreich eingeredet worden sind. Der Bankberater oder Vermögensverwalter holt sich dann eine schriftliche Bestätigung des Kunden, dass dieser ausdrücklich gewarnt worden sei, aber trotzdem dieses Produkt haben wolle. Das ist natürlich genau das, was unbedingt verhindert werden sollte, was aber durch die enorme Umständlichkeit legaler Formen der Beratung massiv gefördert wird.
Die Fülle von Regulierungen, denen die Banken seit der großen Krise 2007 in stets weiter zunehmendem Maße unterworfen werden, dürfte bei allen Nebenwirkungen und Übertreibungen in einem wesentlichen Punkt Erfolg haben: Die Risikoanfälligkeit des Kreditapparates ist geringer geworden. Das bedeutet nur leider nicht, dass die Marktrisiken, die mit der stetig weiter zunehmenden Menge der unterschiedlichsten Produkte verbunden sind, geringer werden, sondern nur, dass sie, wenn sie einmal schlagend werden, mehr die Investoren und weniger die Banken treffen. Es bestehen leider gute Chancen, dass das dann ausgerechnet wieder einmal die sogenannten kleinen Sparer sein werden. Wenn immer mehr Banken und Vermögensverwalter wegen des damit verbundenen Aufwandes oder wegen der zivilen und verwaltungsstrafrechtlichen Risiken unvollständiger Beratung weniger davon anbieten und zugleich die Offerte im Internet immer mehr werden, ist genau das zu befürchten.
Autor: Dr. Manfred Drennig ist Gesellschafter der Privatconsult Vermögensverwaltungs Ges.mbH und war u.a. stv. Generaldirektor der österreichischen Länderbank