Politik verschließt sich einer klassischen Win-win-Situation

Die betriebliche Altersvorsorge führt hierzulande das vielzierte Schattendasein. Derweil würden bei vorhandenem politischem Willen alle – sowohl Arbeitnehmer, Arbeitgeber und der Staat selbst – profitieren. Dies meint Experte Thomas Wondrak im Gespräch mit dem Börsen-Kurier.

Börsen-Kurier: Österreich befindet sich mitten in Koalitionsverhandlungen. Zum Thema Pensionen bzw. zur sogenannten „Zweiten Säule“ der Vorsorge hat man bisher noch nichts aus Verhandler-Kreisen vernommen. Was würden Sie, als ausgewiesener Experte des Themas „Betriebliche Altersvorsorge“, einer neuen Regierung nahelegen?

Thomas Wondrak: Betriebliche Altersvorsorge ist europaweit ein wesentliches Standbein für die finanzielle Absicherung der Menschen. Das ist ein wichtiger Punkt bei einer immer länger werdenden Pensionsphase und weiterhin steigender Lebenserwartung. Auch in Österreich ist die BAV mit insgesamt rund 23 Mrd Euro veranlagter Mittel ein bedeutender Faktor geworden. Die vergangene Bundesregierung wollte eine umfassende Evaluierung der drei Säulen (staatliche Pension, BAV und Privatvorsorge) durchführen, was aber leider nicht mehr in Angriff genommen wurde. Diese Evaluierung sollte die neue Bundesregierung durchführen, um eine klare und transparente Struktur der drei Säulen, insbesondere hinsichtlich der finanziellen Förderungen und der Versteuerung der unterschiedlichen Durchführungswege zu erreichen. Die letzte inhaltlich eher unwesentliche Reform wurde 2012 bei den Pensionskassen umgesetzt. Es ist Zeit, sich dem Thema sachlich zu nähern und konsequente Reformschritte auszuarbeiten. Verbesserungsbedarf gibt es bei der Information der Klein- und Mittelbetriebe, bei der Vereinfachung der Produkte und bei den Förderungen. Ziel muss sein, dass die BAV auch bei den Klein- und Mittelunternehmen und bei Menschen mit geringerem Einkommen ankommt.

Börsen-Kurier: Und wo gibt es da im Speziellen die Stellschrauben?

Wondrak: Es braucht vor allem ein klares politisches Bekenntnis zum Ausbau der BAV. Die Bedeutung der staatlichen Pension soll davon aber nicht berührt werden. Weiters müssen die Sozialpartner dafür Sorge tragen, dass die BAV in den Kollektivverträgen berücksichtigt wird. Das wird dazu beitragen, dass auch Klein- und Mittelverdiener in den Genuss der
BAV kommen. 
Und zuletzt muss es adäquate und transparente Fördermodelle geben. Es liegt schließlich im Interesse der Allgemeinheit, dass unser Pensionssystem auf mehreren sicheren Standbeinen steht. Durch zielgerichtete Förderung steigt der Bekanntheits- und Umsetzungsgrad vor allem im Bereich der Klein- und Mittelunternehmen. Die KMUs brauchen dringend Unterstützung in diesem Bereich, da dort die Lohnkosten ein wesentlicher Faktor sind.

Börsen-Kurier: Blicken wir in diesem Zusammenhang über unsere Grenzen. Sie haben in unserem Vorgespräch erwähnt, dass Deutschland bei m Thema schon weiter ist. Was könnte man sich abschauen bzw. für Österreich adaptieren?

Wondrak: Mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz, das vor kurzem in Deutschland beschlossen wurde, werden wichtige Weichen in Richtung Unterstützung der Kleinverdiener und der KMUs gestellt. Arbeitgeber, die Kleinverdienern eine BAV ermöglichen, erhalten eine Förderung, um die höheren Lohnnebenkosten aufzufangen. Weiters wird der Arbeitgeber verpflichtet, bei einer Gehaltsumwandlung (das bedeutet der Arbeitnehmer entscheidet sich für weniger Bruttolohn, dafür erhält er eine BAV-Zusage) seine Ersparnis bei den Lohnnebenkosten an den Arbeitnehmer weiterzugeben. Dadurch wird nicht nur verhindert, dass allein der Arbeitgeber davon profitiert, sondern es wird das Gesamtversorgungsniveau
für den Arbeitnehmer gleich gehalten bzw. sogar noch erhöht. 
Beide Punkte sind auch in Österreich umsetzbar und würden eine deutliche Verbesserung der Situation der KMU mit sich bringen.

Börsen-Kurier: Woran scheitert es hierzulande Ihrer Ansicht nach? Eigentlich ist die Förderung der 2. Säule eine Win-Win-Situation.

Wondrak: Es scheitert lediglich am politischen Willen, rasch umsetzbare Modelle liegen auf dem Tisch. Der Staat würde den Versorgungsgrad in der Pension anheben, was insgesamt zu einer höheren Kaufkraft der Pensionisten führt. Die staatliche Pension muss deswegen nicht an Bedeutung verlieren, im Gegenteil: wir würden ein zusätzliches Standbein dazu bekommen. Die Arbeitgeber gewinnen an Attraktivität am lokalen, am europäischem sowie am globalen Markt, im Idealfall ohne wirtschaftliche Mehrbelastung. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schließlich verlagern die Steuerlast in die Zukunft, erhöhen ihr Pensionseinkommen und sichern sich dadurch die längere Lebenserwartung finanziell ab.

Börsen-Kurier: Von Berater- und Maklerseite wird das Thema eher stiefmütterlich behandelt? Woran liegt das, und welches Potential gäbe es auch für den Vermittler?

Wondrak: Das liegt daran, dass Makler und Berater die BAV als komplex empfinden. Die in Österreich vorherrschenden Produkte sind in der Ausgestaltung und Abwicklung aber simpel und einfach zu verwalten. Es mangelt hier bedauerlicherweise an Information. Aus- und Fortbildung in diesem Bereich wird aber ein wesentliches Thema ab 2018, da es zu erhöhten Ausbildungsverpflichtungen von Produktanbietern, Beratern und Makler kommt.

Das BAV-Potential ist angesichts der starken Rückgänge in der klassischen Lebensversicherung nicht zu unterschätzen. Makler wären gut beraten, sich dem weiter wachsenden Markt der BAV zu widmen. Der Aufholbedarf in Österreich ist enorm, man kann von einer möglichen Verdoppelung der veranlagten Gelder in den nächsten zehn Jahren ausgehen.

Börsen-Kurier: Und wenn wir schon beim Vermittler-Thema sind: Auf die Branche kommt ein herausforderndes Jahr mit all den neuen Richtlinien wie IDD, MiFid II, Datenschutzverordnung etc. zu. Wie weit spielen diese Themen bei der Betrieblichen Altersvorsorge eine Rolle?

Wondrak: Die neuen Richtlinien werden vor allem die Transparenz und Qualität bei der Beratung und Vermittlung sowie die Informations- und Dokumentationsverpflichtungen erhöhen. Speziell bei der BAV wird es zu einer Qualitätssteigerung hinsichtlich der richtigen Produktauswahl gemessen an den jeweiligen Kundenbedürfnissen kommen. Weiters wird die Weiterbildungsverpflichtung ausgebaut und präzisiert. Nachdem diese künftig für Makler und auch für die Versicherer selbst gilt, ist eine höhere Beratungsqualität zu erwarten. Eine höhere Qualität bringt mehr Kundenzufriedenheit. Zufriedene Arbeitgeber und ArbeitnehmerInnen erhöhen wiederum die Produktivität und stärken den Wirtschaftsstandort Österreich.

Das Interview führte Klaus Schweinegger (redaktion@boersen-kurier.at)