Chinesische Übernahmen in Europa werden zum Politikum
Die Aktivitäten chinesischer staatsnaher Betriebe in Europa sowie das Lobbying nehmen beständig zu. Der Vorwurf steht im Raum, Peking wolle den Kontinent spalten. Nun kam es zum Weckruf der Denkfabrik European Council on Foreign Relations (ECFR).
Während der vergangenen zehn Jahre wurden 370 MrdUSD aus China in Europa investiert. Bloomberg zufolge stieg das Volumen der Übernahmen in Europa (ausgenommen Russland und Türkei) von 2008 bis 2018 stetig an. 2016 wurden aus dem Reich der Mitte 95 MrdUSD auf dem Alten Kontinent für Übernahmen in die Hand genommen. Bereits das 6-fache des Betrages gegenüber 2010. 20 % der Beträge flossen alleine nach Großbritannien.
Mehr als die Hälfte dieser Investitionen wurden in den fünf größten EU-Ländern platziert. Aber auch bei Infrastruktur-Objekten wie Flughäfen in Spanien, Griechenland und Belgien ist die Eigentümerschaft in chinesische Hände gewandert – weiters auch bei Ölplattformen in der Nordsee bis hin zu Fußballklubs in England und Italien.
Neben der Autoindustrie (Volvo) waren jüngst High-Tech- und Robotik-Unternehmen wie KUKA Übernahmeziele. Selbst gewichtige Aktienanteile der Daimler AG wandern zunehmend in die Hände der Sino-Gesellschaften. Die Textilhochburgen um Prato (Toskana) wurden schon zu Beginn des Jahrtausends von Gesellschaften der Volksrepublik einverleibt. François Godement, ECFR-Direktor der Asien-Analyse, hält dazu in einem Report fest: „Berlin ist damit konfrontiert, die Juwelen der Krone an China zu vergeben.“
Durch Lobbying lasse sich andererseits von asiatischer Seite vor allem in kleinere EU-Staaten „hineinarbeiten“. Als heikel wird der gewichtige chinesische Einstieg in Schlüssel-Infrastrukturbereiche in Süd- und Osteuropa gesehen. So spannen sich Sektoren, in denen chinesische Unternehmen die Hoheit übernommen haben, von Luftdrehkreuzen bis hin zu Hafenanlagen (Piräus). Nimmt man die vergangene Dekade her, so waren die größten Unternehmensaufkäufer aus dem fernen Osten die China National Chemical Corp. mit einem Übernahmevolumen von 58 MrdUSD, gefolgt von der China Investment Corp. (24 Mrd USD), der Aluminium Corp. of China (14 MrdUSD) sowie der Avic Capital Co mit rund 12 MrdUSD.
Naivität zum Freihandel?
Die Meinungen in europäischen Regierungskreisen zu Großinvestitionen aus dem Reich der Mitte divergieren. Die verwobene Situation der ökonomischen und politischen Ansprüche aus Peking verunsichert. Nun gibt es aber die Schlussfolgerung des ECFR, Peking versuche den europäischen Kontinent für eigene Interessen zu spalten. Zu gezielt hätten chinesische Akteure die akute Schwäche zur Krisenzeit in Südeuropa für massive Zugriffe auf elementare wirtschaftliche Hebel in dieser Region, genutzt. Die 200 Politiker und Entscheidungsträger vereinende Organisation aus der EU sieht somit die notwendige Balance gefährdet.
Der Politik-Analyst der Nachrichtenagentur Bloomberg, Alan Crawford, erörterte kürzlich: „Bisher fehle eine einheitliche europäische Gegenstrategie. Haben die USA, Australien und Japan in vielen sensiblen Segmenten längst Übernahmeblockaden errichtet, sei Europa noch der einzige, vollkommen offene Markt für chinesische Unternehmen.“ Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wies nach seinem Besuch in Peking auf ein notwendiges Gegengewicht und ein gemeinsames Europa-Konzept in dieser Hinsicht hin. Der dänische Premier Lars Lokke Rasmussen betonte die Dringlichkeit, eine „Selbstschutzgrenze“ zum Thema Ausverkauf festzulegen.
Das Mittelmeer als Schleuse
Durch das attraktive Steuersystem nimmt Zypern längst eine Sonderstellung für chinesische Unternehmen ein. Auf der Mittelmeerinsel befindet sich aus chinesischer Perspektive zudem der erste europäische und bedeutendste Anlaufhafen aus dem asiatischen Wirtschaftsraum. Dieser Seezugang über den Suez-Kanal stellt somit das Tor nach Europa dar.
„Alle Wirtschaftszweige“ liegen laut Christodoulos Angastiniotis, Präsident der zypriotischen Wirtschaftskammer, auf den Radarschirmen chinesischer Anlagefonds. „Ausgenommen des Olivenöls und des Halloumi-Käses, stehen in Zypern praktisch alle Sektoren bereits unter chinesischem Einfluss.“ Angastiniotis nennt Schiffslinien, Tourismusbetriebe, Finanzdienstleister, bis Lieferanten der erneuerbaren Energie. Darüber hinaus soll auf der Mittelmeerinsel demnächst die Melco Resorts & Entertainment Ltd. (Hong Kong), das europaweit größte Casino-Resort entstehen lassen. Die umfangreiche russische Community verliert nun sogar in Zypern durch chinesische Geschäftsleute an Präsenz.
Sowohl in Zypern als auch in Griechenland entstand zu liquiditätsstarken chinesischen Investoren ein besonderes Verhältnis, kauften doch am Höhepunkt der Krise die Chinesen mit Überzeugung die Anleihen der Mittelmeerländer.
Autor im Börsen-Kurier: Roman Steinbauer