Die falsche Vorstellung vom Gegenüber

Vorsorge- und Finanzberater haben oft falsche Vorstellungen davon, was für ihre Kunden relevant ist. Auch bei den Erwartungen an die Beratung selbst gibt es eine Wahrnehmungslücke.

Bernd Ankenbrand, Professor an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt, und der Strategieberater Florian Fischer haben – unterstützt durch die Standard Life Versicherung – versucht, das Manko im Verhältnis zu quali- und quantifizieren: Im Dezember 2017 und im Jänner 2018 haben sie für ihre Studie „Mind the gap“ 919 Kunden und 286 Finanzberater in Österreich befragt. Man wolle mit der Studie einen Beitrag zum wechselseitigen Verständnis von Beratern und Kunden im Hinblick auf individuelle, sinnvolle Altersvorsorgelösungen leisten, begründet Christian Nuschele, Head of Sales bei Standard Life Deutschland und Österreich, das Engagement seines Unternehmens.

Erfahrung schlägt Google

Das Kunden-Finanzberater-Verhältnis, gerade in der Altersvorsorge, ist manchmal ein ambivalentes – nähern wir uns diesem daher mit vorsichtigen Trippel-Schritten: Finanzberater überschätzen beispielsweise die Relevanz von Informationsquellen für Kunden, so das Ergebnis der Studie. Vor allem Produkttests und die gesetzliche Pensionskontoinformation seien für Kunden weit weniger wichtig, als dies Berater glauben. Der wichtigste Informationskanal sei – wie könnte es anders sein – „Online“. 49,5 % geben an, im Internet nach Informationen zu suchen, wobei die Bedeutung dieser Quelle von Finanzberatern überschätzt wird: Sie rechnen sogar mit 60,9 %.

Berater sollten ihren Kunden die Hoheit über deren eigene Information zugestehen, raten Ankenbrand und Fischer in diesem Zusammenhang. Sie sollten stattdessen Aspekte in den Vordergrund stellen, die mittels Google nicht zu finden seien. Aus ihrer Erfahrung mit Produkten oder Produktgebern könnten sie manches besser beurteilen als ein Algorithmus.

Die Einschätzung der Berater stimmt allerdings nicht, was ihre eigene Person betrifft. Mehr als 40 % aller Kunden informieren sich laut Angaben etwa „nicht“ oder „weniger“ beim Berater über Vorsorgeprodukte. Die Berater selbst schätzen diesen Wert lediglich mit 7 % ein. Ein Experte, der seinen Namen nicht im Börsen-Kurier lesen möchte, bringt die Diskrepanz auf den Punkt: „Wenn ein neues Auto gekauft wird, wird der Familienrat einberufen, und tagelang überlegt – bei einer ähnlich kostspieligen Entscheidung wie der Vorsorge oder einer Finanzanlage hingegen, wird innerhalb von Minuten entschieden.“

Was am wichtigsten ist

Sehr nahe kommen Kunden und Berater einander dann aber doch wieder beim Stellenwert der persönlichen Beratung. Für 68,2 %  der Kunden ist persönliche Beratung wichtig – das glauben auch 73,4 % der Berater. Für fast 70 % der Kunden ist auch die Zuverlässigkeit eines Produkts laut Studie „sehr wichtig“. Finanzberater unterschätzen die Bedeutung dieses Aspekts und rechnen nur mit 34 %. Besonders wichtig für den Abschluss einer Altersvorsorge sei für Kunden auch das Preis-Leistungs-Verhältnis, was von Beratern unterschätzt werde. Sie glauben laut Studie dafür zu sehr an das Gewicht ihrer Empfehlung. Der anonym bleiben wollende Berater fügt kritisch hinzu: „Der neutrale Berater kann noch so mit Wissen vollgestopft sein – es wird immer der prominenten Marke geglaubt werden.“

Irrglaube Transparenz?

42 % der Kunden fühlen sich punkto Vermittlungskosten „nicht oder weniger gut“ informiert. Bei den Beratern sieht die Wahrnehmung konträr aus: 47 % von ihnen glauben, dass Kunden diesbezüglich „gut oder eher gut“ informiert wären. Ähnlich die Situation bei den Produktkosten: Immerhin 39 % der Kunden sehen sich nicht oder weniger gut informiert, von den Beratern glauben das aber nur 8 %.

Sehr gering ausgeprägt ist die Bereitschaft der Kunden, für unabhängige Finanzberatung ein Honorar zu bezahlen (nur 14 % können sich das vorstellen). Unser anonymer Fachmann gegenüber dem Börsen-Kurier nüchtern: „Es werden immer die im Vorteil sein, die Kosten nicht offenlegen – deswegen ist die Honorarberatung auch in Deutschland ein Flop. Weil: Die Menschen wollen gar keine Transparenz.“

Ins Stammbuch

Die größte Wahrnehmungslücke bestehe laut Studie aber in Bezug auf die Frage, ob Kunden Altersvorsorgeprodukte bei einem gewerblichen Vermögensberater beziehen wollen: Für 56 % komme dies nicht in Frage (Beratererwartung: 2 %). Das Preis-Leistungs-Verhältnis sei Kunden weit wichtiger, als Berater das vermuten würden, so die Autoren Ankenbrand und Fischer.“ Dabei wären Kunden aber bei einer sinnvollen Leistung bereit, auch einen guten Preis zu zahlen.“ Kunden würden sich „ohnehin“ im Internet über die empfohlenen Produkte informieren. Daher sollte auch erklärt werden, warum das oder jenes Produkt trotz eines schlechten Abschneidens bei Vergleichsrechnern empfohlen werde.

Die Studienautoren geben abschließend den Ratschlag: Die individuelle Finanz- und Vorsorgeanalyse, die Produktrecherche und -auswahl sowie die Transparenz der Informationen sind für Kunden am wichtigsten.

Autor: Mag. Rudolf Preyer  (redaktion@boersen-kurier.at)