Frauen-Power an der New Yorker Börse

Das Parkett der New York Stock Exchange befindet sich in reiner Männerhand. Die Frauen lassen sich an einer Hand abzählen. Nun wird zum ersten Mal in der 226-jährigen Geschichte der NYSE eine Frau das Zepter übernehmen. Vergangene Woche trat Stacey Cunningham ihren Job als neue Präsidentin der Börse an. Cunningham übernimmt die Institution – eine der ältesten in den USA – in keiner einfachen Phase. Das unterstreicht einen Trend, dass Frauen in den USA häufig Chefposten beziehen, wenn es sich bei den Unternehmen um heikle Missionen handelt.

Bisonköpfe an den Wänden, Zigarrenstände im siebten Stock, ein italienischer Herrenfriseur im Untergeschoss, eine Couch im Vorraum der Herrentoilette: so präsentierte sich die NYSE noch in den 90er Jahren. Cunningham fing 1994 auf dem Parkett als Praktikantin an. Sie erinnert sich heute noch gut, dass die einzige Damentoilette eine umgebaute Telefonzelle war. Dass es überhaupt eine Damentoilette gab, war Muriel Siebert zu verdanken, die 1967 als erstes weibliches Mitglied an der Börse aufgenommen wurde. Heute stehen die Damen- den Männertoiletten in nichts nach. Doch weibliche Trader gibt es derzeit auf dem Parkett nicht.

Die Dominanz der NYSE wurde vor rund einer Dekade aufgebrochen. Neue Handelsplätze schossen nach Änderung der Regularien wie Pilze aus dem Boden. Vor zehn Jahren wurden noch rund 40 % aller Aktien auf dem US-Markt über die Systeme der NYSE abgewickelt. Heute liegt der Marktanteil nur noch bei 22 %. Zudem sind die Systeme der bekanntesten Börse der Welt teils veraltet. Cunninghams Vorgänger, Thomas Farley, hatte mit 38 Jahren als vergleichsweise junger Mann die Spitzenposition bei der NYSE übernommen. Die Zeiten, als Männer wie Dick Grasso als eine Art graue Eminenz die Geschicke leiteten, sind vorbei.

Die Liste von Frauen, die in den vergangenen Jahren schwierige Aufgaben übernommen haben, ist lang. Als Merissa Mayer im Sommer 2012 bei Yahoo den Chefposten übernahm, kam das einem Himmelfahrtskommando gleich. Keine fünf Jahre später war das Projekt gescheitert. Ähnlich sah das lange Zeit bei Ginni Rometti aus. Rometti wurde im Januar 2012 zum CEO von IBM ernannt. Es sollte über fünf Jahre dauern, bevor es ihr gelang, bei Big Blue IBM ein Umsatzplus zu generieren. Ebenfalls in einem schwierigen Marktumfeld übernahm Denise Morrison 2011 die Leitung bei Campbell Soup. Der Trend zu frischerer und weniger Fertigkost oder Dosensuppen kostete Morrison vor wenigen Wochen den Job. Die Liste ließe sich weiter fortsetzen. Es gibt in den USA eine Tendenz, Frauen dann den Spitzenposten anzuvertrauen, wenn die Lage fast aussichtslos scheint.
Die große Gleichberechtigung ist das nicht.

Autor: Jens Korte, Finanzjournalist, New York (redaktion@boersen-kurier.at)