Weltweit kein Schuldenabbau seit der Finanzkrise
Der Internationale Währungsfonds hat Ende Mai seine neue globale Schulden-Datenbank in Betrieb genommen. Erstmals haben die IWF-Statistiker aufgeschlüsselt nach Ländern eine umfassende Reihe von Berechnungen öffentlicher und privater Schulden zusammengestellt und so eine Zeitreihe erstellt, die bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs zurückreicht. Es ist eine beeindruckende Arbeitsleistung.
Der errechnete Nettowert ist atemberaubend. Die globalen Schulden haben mit 225 % vom globalen BIP einen neuen Höchstwert erreicht, der den vorherigen globalen Rekord des Jahres 2009 von 213 % noch übersteigt. Es hat also, wie der IWF festgestellt hat, auf globaler Ebene seit der Finanzkrise von 2007 bis 2008 tatsächlich kein Schuldenabbau stattgefunden. In einigen Ländern hat sich die Zusammensetzung der Schulden verändert; im Gefolge der Krise wurden private Schulden durch öffentliche Schulden ersetzt. Aber diese Verlagerung hat inzwischen weitgehend aufgehört.
Sind diese hohen Zahlen alarmierend? In der Gesamtsumme möglicherweise nicht. In einer Zeit, in der das Wirtschaftswachstum fast überall robust ist, sind die Finanzmärke, was die Nachhaltigkeit der Schulden angeht, entspannt. Die langfristigen Zinsen sind nach wie vor bemerkenswert niedrig. Doch stützen die Zahlen in der Tendenz die Hypothese, dass die sogenannte Schuldenintensität des Wachstums zugenommen hat: Wir scheinen höhere Schuldenniveaus zu brauchen als in der Vergangenheit, um eine vorgegebene Wachstumsrate zu erreichen.
Dies ist möglicherweise darauf zurückzuführen, dass die Ungleichheit bei Wachstum und Vermögen in den entwickelten Ländern die Kaufkraft auf diejenigen verlagert hat, die tendenziell weniger ausgeben, als sie an Einnahmen erzielen. Dieser Trend hat sich in letzter Zeit abgeschwächt, doch seine Auswirkungen halten nach wie vor an. Es scheint zudem, dass sich das Produktivitätswachstum verlangsamt hat, sodass eine vorgegebene Menge an Investitionen zu einer geringeren Produktionsmenge führt als früher.
Der IWF empfiehlt den Regierungen, ihr Dach in Ordnung zu bringen, solange die Sonne scheint: Sie sollten in den guten Zeiten Haushaltsüberschüsse erwirtschaften oder zumindest ihre Defizite verringern, damit sie besser auf den nächsten Abschwung vorbereitet sind. Letzterer wird sicher nicht mehr allzu lange auf sich warten lassen, denn der aktuelle Aufschwung ist inzwischen sehr weit fortgeschritten. Seine Empfehlung bringt den IWF auf Kollisionskurs mit der US-Regierung und nun auch mit der neuen italienischen Regierung. Wenn die grandiosen Pläne der Italiener für ein Mindesteinkommen und mehr öffentliche Investitionen umgesetzt werden, könnte sich Italien bald in schwierigen Gesprächen mit dem IWF wiederfinden. Das in den vergangenen Jahren in Athen stationierte Team könnte dann in Kürze im Flieger nach Rom sitzen.
Welche Implikationen aber hat es, wenn die Schuldenzunahme in erster Linie im privaten Sektor verortet ist? Das ist eine Frage an die für die Finanzstabilität zuständigen Behörden der jeweiligen Länder.
Seit der Krise wurden neue, sehr viel härtere Kapitalanforderungen für die Banken eingeführt, und für die Regulierungsbehörden wurden eine Reihe makroprudentieller Instrumente entwickelt. Die dahinterstehende Vorstellung ist, dass die Regulierungsbehörden imstande sein sollten, „sich gegen den Wind eines übertriebenen Kreditwachstums zu lehnen“, indem sie die Menge an Eigenkapital, das eine Bank halten muss, erhöhen, um so das Kreditangebot zu dämpfen, bevor es ein gefährliches Niveau erreicht. Die Zunahme könnte allgemein verhängt werden oder sich beispielsweise auf Hypothekenkredite konzentrieren, falls ein zu schneller Anstieg der Häuserpreise zu verzeichnen ist. Andere Alternativen könnten in der Begrenzung der Kreditsumme im Verhältnis zum Wert oder in Mindestanzahlungen beim Kauf von Wohnimmobilien bestehen.
Es wurden neue Behörden gegründet, um den Einsatz dieser neuen makroprudenziellen Instrumente zu überwachen. Der Europäische Ausschuss für Systemrisiken (ESRB) unter Vorsitz von EZB-Präsident Draghi erfüllt diese Aufgabe in der EU, und der Finanzpolitische Ausschuss (FPC) der Bank von England hat die nationale Zuständigkeit im Vereinigten Königreich, obwohl der Gouverneur der Bank von England zugleich stellvertretender Vorsitzender des ESRB ist. (Was mit dieser Position nach einem Brexit passiert, ist unklar.) In den USA ist das Koordinierungsgremium der Rat für die Beaufsichtigung der Finanzstabilität (FSOC).
Doch gibt es wichtige Unterschiede zwischen diesen Behörden. Der FPC ist in gewisser Weise die mächtigste der drei. Er kann die britischen Banken zur Schaffung antizyklischer Kapitalpuffer zwingen und hat dies in der Vergangenheit bereits angedroht. Eine Weile vertrat der Ausschuss die Ansicht,
dass die Menge unbesicherter Privatkredite zu schnell wachse.
Der ESRB kann nicht eigenständig handeln, aber er überwacht die EU- und EFTA-Mitgliedsstaaten genau und veröffentlicht regelmäßige Berichte. Der aktuelle Bericht vom vergangenen Monat zeigte, dass in Schweden, Norwegen, Island, der Tschechischen Republik und der Slowakei in Reaktion auf das jeweilige Kreditumfeld in diesen Ländern zusätzliche Puffer in Kraft sind. Inzwischen ist auch Frankreich in die Liste aufgenommen worden. In der Eurozone ist natürlich die EZB aufsichtsführend, daher kann Draghi bei Bedarf in seiner anderen Funktion direkt durch seine eigenen Mitarbeiter tätig werden.
Die US-Position ist weniger klar. Der FSOC ist eine Koordinierungsstelle, keine Regulierungsbehörde mit eigenen Befugnissen. Er ist eine Schüssel, in der die Buchstabensuppe der US-Finanzregulierer ab und zu umgerührt wird. Er hat keinerlei Befugnisse gegenüber seinen Mitgliedern und kann keine antizyklischen Puffer vorschreiben. Seine Versuche, große US-Versicherer als Unternehmen von globaler Systemrelevanz einzustufen, wurden durch die Gerichte zunichte gemacht. Es gibt Angehörige der Fed, die sich wünschen, dass das anders wäre, weil sie erkannt haben, dass es für sie ohne die Unterstützung durch den FSOC, dessen Vorsitzender der US-Finanzminister ist, schwierig, wenn nicht unmöglich sein dürfte, den makroprudenziellen Werkzeugkasten zu nutzen.
Wir müssen daher hoffen, dass die von den verschiedenen US-Bankenregulierern verhängten, auf den Baseler Regeln basierenden Eigenkapitalanforderungen ausreichen. Bisher sind die Quoten nicht gesenkt worden, obwohl andere Deregulierungsinitiativen in Arbeit sind, die durch Ernennungen Präsident Trumps in den entsprechenden Behörden vorgeschlagen wurden. Eine makroprudenzielle Politik mag in der Slowakei wie geplant funktionieren, aber auf dem größten Finanzmarkt der Welt, wo es ihrer am dringendsten bedarf, wird sie kaum Rettung bringen.
Autor: Howard Davies ist Chairman der Royal Bank of Scotland. Aus dem Englischen von Jan Doolan, © Project Syndicate 1995 – 2018