Türkische Aktien bleiben hochriskant

Nach der jüngsten Zinserhöhung in der Türkei sehen Experten eine leichte Entspannung der Lage. Obwohl es an der Börse Einstiegschancen gibt, bleibt der Markt hochriskant.

Die Türkei kämpft derzeit bekanntlich mit vielen Problemen. Dazu zählen unter anderem die hohe Auslandsverschuldung in Fremdwährungen, das hohe Leistungsbilanzdefizit, die Schwäche der türkischen Lira sowie die zweistellige Inflationsrate. Das weitaus größte Problem ist für Experten allerdings ein anderes: Mit seinen Aussagen hat Präsident Recep Tayyip Erdogan in den vergangenen Monaten und Wochen wiederholt dafür gesorgt, dass ausländische Investoren die Unabhängigkeit der türkischen Zentralbank in Frage gestellt haben.

Vor der vergangenen Woche war ein Ende der Abwärtsspirale in der Türkei jedenfalls nicht auszumachen. Mit der am Donnerstag der Vorwoche  erfolgten – im Übrigen höher als erwarteten – Zinserhöhung um 6,25 Punkte auf 24 %, hat sich für Gregor Holek, Fondsmanager im Team „Aktien, CEE & Global Emerging Markets“ in der Raiffeisen KAG, jedoch das Blatt gewendet. „Seitdem haben wir wieder festeren Boden unter den Füßen, weshalb wir uns auch wieder – in rein taktischer Hinsicht – auf der Käuferseite befinden“, sagt er im Gespräch mit dem Börsen-Kurier.

Trotz der jüngsten Zinserhöhung sei jedoch bei weitem noch immer nicht alles gut in der Türkei, hält Holek fest. Tatsache sei, dass sich die lokale Wirtschaft in einer Warteposition befinde. „Es werden keine Investitionen getätigt, der Konsum liegt brach, und es werden auch keine Kredite aufgenommen“, erklärt er. Der Industriebereich stehe praktisch still und auch Konsumgüterherstellern stünden schwere Zeiten bevor. Dazu komme, dass tausende Unternehmen Schwierigkeiten haben würden, ihre Fremdkapitalkredite zu bedienen. Das könnte im zweiten Halbjahr zu Gewinn- und Kurseinbrüchen führen.

In die gleiche Kerbe schlägt auch Stuart Canning, Analyst im Multi-Asset-Team bei M&G Investments. „In der Türkei ist vor allem der Unternehmenssektor betroffen, weniger der Staat oder die privaten Haushalte“, so der Experte. Hinzu komme die Koppelung der türkischen Löhne an die Inflation, was erkläre, warum viele Türken nicht daran interessiert wären, ihre Gold- und Devisenbestände zu verkaufen, wie es Präsident Erdogan gefordert habe. Ein größeres Problem sei allerdings die schwache Lira, die die Verschuldung in Fremdwährungen verteuere und ihre Tilgung erschwere.

„Für aktive Anleger lautet die Frage: Wie stark wird der türkische Markt von Stimmungen getrieben anstatt von Fundamentaldaten?“, so Canning weiter. Auch Holek will keineswegs Empfehlungen für türkische Aktien aussprechen. Der Markt bleibe „rasend riskant“, und um zu investieren, benötige man Nerven aus Stahl. „Investoren müssen abwägen, ob die türkische Regierung die richtigen Schritte setzt, um die kommende Krise zu überstehen, die die Börse vorweggenommen hat“, sagt der Fondsmanager. Nachsatz: „Wir müssen uns auf das eine oder andere Quartal mit negativem Wirtschaftswachstum einstellen.“

Vorsicht bei Bankaktien
Wie sollen sich Anleger im aktuellen Umfeld verhalten? „Als Investor gilt es derzeit auszuloten, welche Bereiche des Aktienmarkts ungerechtfertigt unter Verkaufsdruck geraten sind“, so Holek. Dort würden sich Einstiegschancen finden. Zu den Profiteuren der schwachen Lira zählt er etwa Exportunternehmen. Insgesamt gelte es den Markt nach Firmen zu screenen, die eine hohe Fremdwährungsverschuldung aufweisen – bei ihnen sei Vorsicht angebracht. Mit großer Vorsicht beobachte man bei der Raiffeisen KAG derzeit den türkischen Banksektor. „Wir befürchten, dass uns dort die eine oder andere negative Überraschung bevorsteht“, so Holek.

Autor: Mag. Patrick Baldia (redaktion@boersen-kurier.at)