Renaissance des Privataktionärs

Aktiv-Investor Rupert-Heinrich Staller im Exklusiv-Gespräch mit dem Börsen-Kurier.

Entscheidungen abzunicken oder gar während der Hauptversammlungen einzunicken ist nicht mehr. Die Aktionäre mischen bei der Firmenpolitik jetzt aktiv mit und nehmen das Management in die Mangel. Organe werden auf den HVs nicht mehr automatisch von den Aktionären entlastet – siehe Bayer. Ein ähnliches Schicksal könnte Paul Achleitner ereilen, der sich als Aufsichtsratschef der Deutschen Bank für die nun gescheiterte Fusion mit der Commerzbank eingesetzt hatte, oder den Volkswagen-Aufsichtsräten bei der HV am 14. Mai. Und auch in Österreich melden sich die Privataktionäre wieder mehr zu Wort, berichtet Aktiv-Investor Rupert-Heinrich Staller dem Börsen-Kurier.

Börsen-Kurier: Kaum eine Hauptversammlung ohne Rupert-Heinrich Staller. Was reizt Sie daran?
Rupert-Heinrich Staller: Also die meisten Hauptversammlungen finden ganz gut ohne mich statt. Manche meinen, mit mir ist es einfach ein bisschen lustiger. Für die anwesenden Aktionäre ist es aber oft informativer und darauf kommt es an. Dabei höre ich, man mag es glauben oder nicht, am liebsten nur andächtig zu, ohne mich zu Wort zu melden. Der Reiz der Hauptversammlung ist leicht erklärt: Sie ist das Hochamt im Jahreskalender eines Unternehmens. Manchmal ähnelt sie allerdings eher einer Generalbeichte, da muss ich ab und an den Beichtvater spielen.

Börsen-Kurier: Die HV-Hochsaison hat begonnen. Wo und wie wollen Sie sich aktiv einbringen?
Staller: Ich bringe mich immer dort ein, wo meine Investmentgesellschaft Anteile hält und ich Diskussions- und Handlungsbedarf sehe, mal mehr, mal weniger, sehr oft auch spontan. Aber so viel sei verraten: Eine Hauptversammlung etwa von Erste Group, UNIQA, RBI, Ottakringer oder Frauenthal wird es ohne mich auch in den nächsten Jahren nicht geben. Eine besondere Herausforderung wird sicher die heurige Hauptversammlung der Erste sein. Der scheidende Andreas Treichl würde sich, so flüstert man mir, über ein paar nette Abschiedsworte von mir freuen. Das bereitet mir schon jetzt schlaflose Nächte.

Börsen-Kurier: Was sind die aktuell größten Siege und Niederlagen der Staller Investments GmbH aktuell? Die RHI-Fusion mit Magnesita und Umzug nach London hatten Sie ja massiv bekämpft.
Staller: Über Siege und Niederlagen mögen andere entscheiden, ich muss zugeben, dass mir auch Niederlagen Spaß machen. Erstens lerne ich dabei und zweitens schärfen selbige den Charakter. Zur Hauptversammlung der RHI-Magnesita in einem kleinen Hotelzimmer auf einem niederländischen Flughafen werde ich sicher nicht reisen. Das hat weder Informations- noch Unterhaltungswert.

Börsen-Kurier: Was hat sich auf der HV grundlegend geändert?
Staller: Die wesentliche Änderung ist wohl aus der Angst der Verwaltungsorgane vor Klagen und aus dem immer größer werdenden Haftungsrisiko entstanden. Leider werden mittlerweile fast alle Fragen dergestalt beantwortet, dass die eigentlichen Inhalte vom Backoffice vorbereitet, dann von Juristen auf Risiken abgeklopft und von den Vorständen oder allenfalls vom Aufsichtsratsvorsitzenden Stunden später als vermeintliche Antwort nur noch vorgelesen werden. Der besondere Reiz der Unmittelbarkeit geht dadurch verloren. Das ist bedauerlich und in Wirklichkeit peinlich, wenn Vorstandsvorsitzende mit Millionen-Gagen nur noch willfährige Vorleser geben. Ein Vorstand muss sein Geschäft beherrschen und zumindest allgemeine Fragen aus der Hüfte beantworten können.

Staller: Nehmen sie sich die jüngst stattgefundene Hauptversammlung von Berkshire Hathaway als Beispiel: Warren Buffett antwortet mit Witz und fundiertem Wissen direkt auf die Fragen seiner Aktionäre und das stundenlang. Dabei ist der gute Mann 88 Jahre alt!

Börsen-Kurier: Kommen zu den Hauptversammlungen heute eigentlich auch noch viele Privatanleger oder nur noch Stimmrechtsvertreter?
Staller: Wir erleben derzeit so etwas wie eine Renaissance der Hauptversammlung und das ist gut so. Einerseits kann sich der Privataktionär über sein Unternehmen nirgendwo besser und direkter einen Eindruck verschaffen als auf der Jahresversammlung aller Eigentümer. Andererseits stehen die Leitungsorgane des Unternehmens nur dort unter Wahrheitspflicht. Genau das macht es so spannend. Im Vier-Augen-Gespräch zwischen Investor bzw. Analyst und CEO oder CFO, dem sogenannten One-on-One, gibt es strenggenommen genau das nicht. Ich selbst habe unzählige dieser One-on-Ones erlebt und hatte nicht nur einmal das Gefühl, einen Märchenerzähler aus 1001 Nacht vor mir zu haben. Schlussendlich dürfen wir nicht vergessen, dass eben nur auf der Hauptversammlung Beschlüsse gefasst werden.

Börsen-Kurier: Aber fallen die nicht schon vor der HV durch elektronische Abstimmungen? Staller: Der Einfluss von sogenannten „Proxy Voting Services“, die institutionellen Investoren vorab Empfehlungen zum Abstimmungsverhalten für eben diese Beschlüsse geben, nimmt sicher weiter zu. Wobei ich derzeit auch den Trend feststelle, dass etwa große Fondsgesellschaften in Deutschland sich durchaus wieder vermehrt direkt in Hauptversammlungen einbringen, wie zuletzt bei Bayer, wo nach harscher Kritik dem Vorstand die Entlastung verweigert wurde.

Börsen-Kurier: Das ist doch der Aufstand großer Stimmrechtsvertreter, nicht der kleinen Einzelaktionäre.
Staller: Wer nicht selbst auf eine Hauptversammlung gehen kann, bedient sich eben dieser Proxy Voter beziehungsweise eines Stimmrechtsvertreters. In Österreich bietet diesen Service der Anlegerschutzverband IVA.

Börsen-Kurier: Sie bereiten sich akribisch auf die HVs vor, wie genau?
Staller: Die Vorbereitung ist relativ einfach. Lesen und darüber nachdenken. Wobei es mir wichtig ist, ein Unternehmen das ganze Jahr über zu begleiten und sich am Laufenden zu halten. Zudem lese ich Einzel- und Marktanalysen. Bei Bilanzen pflege ich manchmal auch ein bisschen nachzurechnen, Excel sei Dank. Die Tagesordnung allein genügt nicht, man muss sich schon auch die einzelnen Beschlussvorschläge oder etwa die Unterlagen zu den Wahlvorschlägen in den Aufsichtsrat anschauen.

Börsen-Kurier: Finanzieren Sie alle ihre „HV-Ausflüge“ aus der eigenen Tasche?
Staller: Natürlich, das sind überschaubare betriebsnotwendige Aufwendungen im Rahmen des Geschäftsgegenstandes der Staller Investments GmbH. Die notwendigen Kosten rechtlicher Beratung verbuche ich sozusagen unter Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen im Aktienrecht.

Börsen-Kurier: Hat HV-Präsenz im digitalen Zeitalter noch Sinn?
Staller: Solange uns nichts Besseres einfällt, ist die Präsenzhauptversammlung schlicht und einfach notwendig. Optimieren kann man immer. Wünschenswert sind sicher kurze, informative Präsentationen wie die direkte Beantwortung von Aktionärsfragen. Man sollte sich überlegen, ob das oft überlange Vorlesen von reinen Formalien nicht gekürzt werden könnte. Was mir aber seit Jahren wirklich gegen den Strich geht ist die Unkultur, das Buffet vor dem Ende der Versammlung zu eröffnen. Es kommt dann regelmäßig zum Exodus aus dem Saal während der Sitzung.

Börsen-Kurier: Bei der HV der BKS Bank AG überraschte die UniCredit Bank Austria AG mit einem Antrag auf Sonderprüfung. Was hat es da auf sich?
Staller: Es gibt seit Jahren Gerüchte, dass die UniCredit sich von ihren Beteiligungen an den drei börsenotierten Regionalbanken der 3-Banken-Gruppe trennen möchte. Die drei Banken haben es sich mit ihren Kreuzbeteiligungen sicherlich österreichisch gemütlich eingerichtet. Vielleicht möchte man das jetzt mit einer aggressiven Klage aufbrechen. Erst kürzlich hat die Staller Investments GmbH eine letztinstanzliche Entscheidung im Rahmen einer Anfechtungsklage gegen die Frauenthal Holding AG erkämpft, mit der das Stimmrechtsverbot zementiert wurde. Ich kann mir vorstellen, dass die Sonderprüfung mit der Frage des Stimmverbotes für möglicherweise betroffene Aktionäre verknüpft wird.

Börsen-Kurier: Investieren Sie nur in Aktien, deren HVs Sie besuchen?
Staller: Einfache Antwort, nein. Bei der BKS halte ich zum Beispiel vor allem Additional Tier 1-Anleihen. Ganz generell sollte die Hauptversammlung für jeden nachhaltig interessierten Aktionär, ob privat oder institutionell, ein zentraler Ort der Meinungsbildung über sein Investment sein.

Börsen-Kurier: Würden Sie sich selbst als Shareholder-Aktivist bezeichnen?
Staller: In meinem Selbstverständnis müsste jeder Shareholder dem Grunde nach ein Aktivist sein, weil er auf der Hauptversammlung aktiv sein Rede- und Fragerecht ausüben können soll. Das gebietet schon das Aktienrecht. Ich möchte andere Aktionäre motivieren, dies auch zu tun.

Foto: Kati Bruder