„Aufsichtsräte haben sich selbst entmachtet!“
Diskussionsanregende Thesen des deutschen Experten Eckart Reinke.
Manfred Kainz. „Damit macht man sich keine Freunde.“ So sagt man in Österreich, wenn jemand etwas tut, was gegen den Mainstream ist. Das nimmt Eckart Reinke wohl in Kauf. Er ist Gründer und Vorstand (Certified Director) des Deutschen Instituts der Aufsichtsräte (German Institute of Directors) und war Special Guest des Forum Aufsichtsrat von Board Search in Kooperation mit der Schoellerbank und PwC im Palais Rothschild.
Der Börsen-Kurier sprach im Anschluss mit Reinke über aktuelle Governance-Turbulenzen. Und der Headhunter und Aufsichtsratsvermittler nahm sich mit einigen provokanten Aussagen auch kein Blatt vor den Mund.
„Zu gute“ Aufsichtsräte?
Was lernt man aus Führungskrisen wie bei VW, Deutsche Bank oder Bayer? Am Beispiel der Bayer AG, die nun weniger wert ist als der Kaufpreis der umstrittenen Monsanto, rechnet Reinke mit der Glorie von höchstrangig besetzten Gremien solcher „Industrieikonen“ ab: Gemäß des „Group Think“ würden Gremien, die mit ausschließlich außergewöhnlichen Persönlichkeiten besetzt sind, nachweislich zu den krassesten, grandiosesten Fehlentscheidungen neigen. Während „normale“ Menschen Zweifel hegen (wie bei der Monsanto-Übernahme), hat der Aufsichtsrat links und rechts neben sich nur Leute sitzen, die – wie er – besonders sind und das auch wissen. In so einem „besten Gremium“ würden Erfolgswahrscheinlichkeiten zu optimistisch eingeschätzt, denn „man trifft ja keine falsche Entscheidung“. Das sei der Effekt, wenn ein Gremium „zu gut“ sei. Tests zeigen: Erst wenn sich ein Zweifler nicht (mehr) alleine fühlt, könne das „Group Think“ aufgebrochen werden. Für eine sinnvolle Diversität in Aufsichtsräten brauche es, so Reinke, daher nicht nur einen „Abweichler“, sondern mehrere. Denn ein Skeptiker braucht Partner um sich artikulieren zu trauen.
Neu erfinden
Auch mit Blick auf die kommenden Vergütungsberichte der Aufsichtsräte an die Hauptversammlungen ist der deutsche Gremienkenner kritisch: „Die Aufsichtsräte haben sich selbst entmachtet!“ Die Macht in großen AGs liege heute bei Stimmrechtsberatern (Proxy Advisors), die in HVs die Abstimmungslinie vorgeben. Die würden heutzutage „das machen, was eigentlich der Aufsichtsrat machen müsste“. Mit ihrem „Kuschelkurs“ hätten aber viele Aufsichtsräte ihre Macht abgegeben. Und zwar freiwillig, und diese „Selbstentmachtung“ durch „freiwilliges Nichthandeln“ stärke eben die Stimmrechtsberater: Aktionäre würden Entscheidungen selbst in die Hand nehmen, weil der Aufsichtsrat „nicht funktioniert“. Reinkes dringendes Fazit: Aufsichtsräte müssten sich „schnell neu erfinden“. Mit Personen mit Wertesystem und dem Mut, kritische Fragen zu stellen. Aber so einen Umkehrtrend sieht er (noch) nicht.
Ohne Vergütung
Seine nächste provokante These: Ein guter Aufsichtsrat arbeitet ohne Vergütung. Dann müsse er sich auch „nicht verbiegen für krumm-riskante Geschäfte“. Aufsichtsräte dürften nicht „Angestellte“ des Unternehmens sein. Heute mit den Vergütungen seien sie das aber de facto, damit werde das Aktiengesetz in der Praxis ausgehöhlt. Reinkes „krasseste Gegenthese“: Ehrenamtliche Aufsichtsräte, dafür mit verminderter Haftung. Dann müssen sie sich „nicht verbiegen für Fehlentscheidungen“. Denn hohe Aufsichtsratsvergütungen seien ein „Fehlanreiz, nämlich Anreiz nicht zu kontrollieren“. Auch sollten aktive CEOs nicht in Aufsichtsräten sitzen. Der Aufsichtsrat sei ein Kontroll- und Konsensgremium, dort brauche es konsensorientierte Leute – keine starken Alphatypen wie CEOs, die gewohnt sind zu führen. Reinkes „Idealthese“: Wer aktiv gestalten und führen will, gehört in den Vorstand, nicht in den Aufsichtsrat. Dort seien „ruhigere“ Typen gefragt.
Foto: Forum Aufsichtsrat