Inflationsentwicklung legt Zinssenkungen nahe

Teuerung im Euroraum entwickelte sich zuletzt moderat.

Michael Kordovsky. Von April auf Mai ging im Euroraum die Inflationsrate von 1,7 auf 1,2 % zurück, ehe sie im Juni marginal auf 1,3 % anstieg. War im April der statistische „Ausreißer“ von 1,7 % (Feber und März nur 1,5 bzw. 1,4 %) auf einen Anstieg der Teuerung der Dienstleistungskomponente im HVPI (Gewichtung 44,47 %) von 1,1 auf 1,9 % zurückzuführen, so drücken aktuelle Entwicklungen der Energie-Rohstoffpreise auf die Inflationsrate. Per Stichtag 18. Juni sind in den vergangenen drei Monaten die Preise für Erdgas, Erdöl (Brent) und Diesel um jeweils 22, 11,7 bzw. 10,8 % gesunken. Auch der US-Dollar entwickelte sich zum Euro marginal rückläufig.

Die Teuerung der Energiepreiskomponente im VPI (Gewichtung 10,13 %) ging von 5,3 % im April auf 3,8 % im Mai zurück, um sich bis Juni auf 1,7 % weiter abzuschwächen. Energie ist ein wichtiger Preisfaktor in der Industrieproduktion und geht als Komponente in die meisten Produkte ein.

Die Teuerung von Dienstleistungen ging im Mai auf 1 % zurück ehe im Juni ein Anstieg auf 1,6 % folgte. Leicht preisdämpfend wirkten auch die moderaten Preisanstiege bei „Industriegütern ohne Energie“ und bei „Unverarbeiteten Nahrungsmitteln“.

Inflationsraten auf breiter Front rückläufig
Was allerdings zuletzt auffällt, sind im Einklang mit den Schwankungen der Dienstleistungs-Preiskomponente höhere Volatilitäten in der Kerninflationsrate. Die Inflationsrate ohne Energie, Lebensmittel, Alkohol und Tabak schwankte von 0,8 % im März auf 1,3 % im April, um dann im Mai wieder auf 0,8 % zurückzugehen und im Juni auf 1,1 % anzusteigen. Diese Sprünge erschweren geldpolitische Entscheidungen, während der breite Abwärtstrend bei der Inflationsrate im EZB-Rat eine baldige Zinssenkung erleichtern könnte: Von Jänner bis Juni meldeten 13 EU-Länder eine rückläufige, zwölf eine steigende und zwei eine gleichbleibende Inflationsrate. Zwar stieg die Gesamtinflation der EU-Länder von 1,5 auf 1,6 %, doch im Euroraum entwickelte sie sich von 1,4 auf 1,3 % rückläufig. Während eine starke Konjunktur in Polen, Tschechien, der Slowakei, Rumänien, Lettland und Litauen preistreibend wirkt, herrscht in vielen Ländern des Euroraums eine disinflationäre Entwicklung.

In fünf Euroländern lag im Juni die Inflationsrate unter 1 %, nämlich in Griechenland (0,2 %), Zypern (0,3 %), Spanien (0,6 %), Portugal (0,7 %), und Italien (0,8 %).

Die höchste Inflationsrate im Euroraum wies hingegen Lettland mit 3,1 % aus.

Auch der viel befürchtete Schub in der Lohninflation blieb bis dato aus – und dies trotz niedrigster Arbeitslosigkeit im Euroraum seit Juli 2008! Im 1. Quartal sind die Arbeitskosten pro Stunde nur um 2,4 % gestiegen verglichen mit jeweils 2,3 bzw. 2,5 % in den beiden Vorquartalen. Krisenängste (Brexit, Handelskrieg …), eine teils noch eingeschränkte Pricing-Power der Hersteller und ein starker Preiswettbewerb im Einzelhandel drücken auf das Lohnniveau, während eine moderate Ölpreisentwicklung bei gleichzeitig hoher Effizienz in Produktion und Handel eine stärkere Ingangsetzung der Lohn-Preisspirale verhindern.

Fazit
Nicht umsonst rechneten Volkswirte der EZB im Juni für 2020 mit im Vergleich zur vorangegangenen Schätzung niedrigeren Steigerungen der Verbraucherpreise, was baldigen Leitzinssenkungen den Weg bereitet.