Ist Argentinien noch zu retten?
Drohender politischer Umsturz in Argentinien sorgt für Panik am Bondmarkt.
Michael Kordovsky. Alleine der Chart einer in Stuttgart notierten argentinischen US-Dollar-Staatsanleihe mit Kupon 6,875 % und Laufzeit bis 22.4.2021 (ISIN: US040114GW47) sagt mehr als 1.000 Worte: Von Ende Juli bis 22. August brach der Kurs klippenartig von 89,69 auf 56,84 % des Nominalwertes ein. Eine bis 2037 laufende Argentinien-Anleihe notierte zuletzt gar nur noch bei 37,15 %. Franklin Templeton, deren Fonds zu den größten Gläubigern Argentiniens zählen, sorgte mit hohen Verlusten für negative Schlagzeilen, zumal Medienberichten zufolge, neun Fonds der Gesellschaft fast 3 MrdUSD an argentinischen Anleihen hielten. Ebenso traf es aber auch alle anderen (Emerging-Markets-)Anleihen-Fondsanbieter mit Argentinien Investments.
Peronistischer Umsturz droht
Ursache des Anleihen-Crashs: Die Regierung von Mauricio Macri, die als zuverlässiger Partner der marktwirtschaftlichen Welt gilt und am ehesten bereit ist, Auslandsschulden zu begleichen, hatte am 11. August die Vorwahl für die am 27. Oktober anstehende Präsidentschaftswahl klar verloren. „Mit dem Wahlsieg der Peronisten erscheint eine Umschuldung der argentinischen Staatsschuld sehr viel wahrscheinlicher, und internationale Investoren haben deshalb diese Papiere verkauft. Derzeit notieren argentinische Staatsanleihen bei etwa 40 bis 50 % des Ausgabekurses“, erklärt dazu WIFO-Volkswirt Thomas Url. Das Fernandez-Wahltandem – bestehend aus dem Oppositionskandidaten Alberto Fernandez und Cristina Fernandez de Kirchner als Vizepräsidentschaftskandidatin – gewann 47,7 % der Stimmen, während es der amtierende Präsident Macri in Allianz mit Miguel Angel Pichetto nur auf 32,1 % brachte. Kaum jemand rechnete mit diesem Wahlergebnis. In den meisten vorangegangen Umfragen lagen beide Kandidaten um weniger als 8 %-Punkte auseinander. Tatsächlich kann es im Oktober bereits beim ersten Wahldurchgang einen politischen Umsturz geben, denn bei 10 %-Punkte Vorsprung gegenüber dem zweitbesten Kandidaten kann mit 40 % der Stimmen in Argentinien eine Wahl entschieden werden. Verärgerte Wähler machen es möglich.
Bevölkerung unzufrieden
Der IWF zeigt nämlich in Argentinien ähnliche Verhaltensmuster wie einst in der Asienkrise 1997/98, indem er mit Sparprogrammen als Kreditbedingung kurzfristig noch mehr Öl ins Feuer gießt: Die Regierung Macri hat für Argentinien mit dem Internationalen Währungsfonds ein Sanierungsprogramm vereinbart. Der Währungsfonds unterstützt Argentinien mit einem Betrag von insgesamt 57 MrdUSD bei der Budgetsanierung. „Im Zuge dieses Programms wurden mit dem IWF Ausgabenkürzungen vereinbart, die der argentinischen Wirtschaft einen negativen Impuls gaben. Zusätzlich haben Subventionskürzungen zu einem Anstieg der Inflationsrate auf mehr als 50 % beigetragen“, erklärt Url. Das erzeugt Unmut in der Bevölkerung. Deshalb können sich in Argentinien liberalere Reformer schwer so lange halten, wie es erforderlich wäre, um das Land nachhaltig nach dem Vorbild erfolgreicher Industrienationen umzugestalten. Dazu Url: „Ein großes Problem ist das mangelnde Vertrauen in die Umsetzung einer nachhaltigen Budgetpolitik. Selbst die liberale Regierung Macri konnte dieses Ziel nicht erreichen, weil die realisierten zusätzlichen Auslandsinvestitionen nicht ausreichten, um den Nachfrageausfall aus der Rücknahme staatlicher Ausgaben auszugleichen.“
Roubesh Adaya, Senior Investment Specialist Fixed Income bei Aberdeen, sieht indessen in Sorgen bezüglich möglicher Kapitalverkehrskontrollen und der Fähigkeit und/oder Bereitschaft der neuen Regierung, die IWF-Programme weiter fortzusetzen das größte Problem Argentiniens. Diese Ängste der Marktteilnehmer setzen die argentinischen Asset-Preise massiv unter Druck.
Franklin Templeton ging nur übliche Risiken ein
Sowohl Aberdeen als auch Franklin Templeton haben, laut eigenen Angaben gegenüber dem Börsen-Kurier, bereits im Vorfeld des 11. August ihre Argentinien-Exposure verringert. Der „Templeton Global Bond“- und der „Templeton Global Total Return“-Fonds gewichteten per 31. Juli 2019 Argentinien mit je 3,3 bzw. 6,4 % – eine Größenordnung im Rahmen des Normalen. Unter Umständen haben die Märkte überreagiert und es ist am Bondmarkt bereits der Boden erreicht worden. Dazu erhielt der Börsen-Kurier von Franklin Templeton folgendes Statement: „Die jüngsten Marktbewertungen scheinen das Worst-Case-Szenario eines Zahlungsausfalls bzw. einer potenziellen Verletzung der Bereitschaftskreditvereinbarung Argentiniens mit dem IWF einzupreisen. Wir halten diese Fälle nicht für das Basisszenario, da es einer politischen Selbstzerstörung gleichkäme, den Kapitalzugang Argentiniens zu zerstören.“
Wie geht es weiter?
Adaya skizziert gegenüber dem Börsen-Kurier folgendes Szenario: Während Alberto Fernandez in der Vergangenheit innerhalb der Peronisten-Partei pragmatische Elemente aufwies, wie etwa im Juli 2008 sein Rücktritt als Kabinettsleiter nach Auseinandersetzungen mit Präsidentin Cristina Kirchner bezüglich Steuerfragen im landwirtschaftlichen Sektor zeigte, ist es wahrscheinlich, dass die ehemalige Präsidentin und aktuelle Vizepräsidentschaftskandidatin Kirchner einen hohen Einfluss auf die Wirtschaftspolitik haben wird. Zumindest unmittelbar nach einem Wahlsieg sollte es so sein. „Wir beobachten die Situation in Argentinien genau, insbesondere bezüglich möglicher politischer Züge einer kommenden Fernandez-Fernandez-Administration“, so Adaya.
Ebenfalls keine glorreiche Zukunft sieht Url: „Obwohl der scheidende Finanzminister Nicolás Dujovne eine Korrektur der Ausgabenkürzungen im Ausmaß von 740 MioUSD vorgeschlagen hat, wird sich die schwere Wirtschaftskrise vermutlich fortsetzen. Nach einem Wahlsieg der Peronisten werden die Möglichkeiten zur Ausweitung der Auslandsverschuldung und zur Stärkung der ausländischen Direktinvestitionen geringer sein, sodass auch auf mittlere Sicht eine Erholung unwahrscheinlich bleibt.“
(Foto: Pixabay / Julianza)