Digitalisierung ist mehr als Online Banking

Branchenfremde nehmen Banken immer größere Teile ihres Kerngeschäftes weg.

Manfred Kainz. Die Digitalisierung erreicht(e) den Bankensektor mit voller Wucht. Laut einem Bericht im Bank Blog über eine Studie von Bain & Company (einer der weltweit führenden Management- und Unternehmensberatungen) zu „Retail-Banking: Die digitalen Herausforderungen“ werden sich Banken strategisch, organisatorisch und operativ neu aufstellen müssen, wenn sie die Chancen der Digitalisierung voll nutzen wollen. Davon sind auch altgediente Profis überzeugt – wie etwa Wolfgang Ronzal, Vorstandsmitglied im Finanz-Marketing Verband Österreich (FMVÖ), ehemaliger Direktor der Erste Bank und heute als Experte, Trainer und Berater für Servicequalität und Kundenorientierung sowie Mitarbeiterführung und Motivation unterwegs. Als langjähriger Universitätslektor an der Wirtschaftsuniversität Wien, am Institut für Bankenlehre und Dozent an mehreren Bankakademien bietet er eigene Spezialprogramme für Banken. Bei der erstmals stattgefundenen „Langen Nacht der Banken“ warnte er: „Anlässlich verschärfter Regulierungen, niedriger Zinsen sowie hohem Kostendruck vernachlässigen aber viele Banken nach wie vor diese entscheidende Herausforderung: Dem wachsenden Wunsch der Kunden nach einer raschen und weitreichenden Digitalisierung.“

Zukunft ist schon da
Wenn traditionell ausgerichtete Banken von digitalem Wandel sprechen, denken sie oft an Online Banking, aber Dinge wie Online-Beratung in Echtzeit, Robotic Prozess Automation (RPA) oder schlichtweg vollständig digitalisierte Prozesse, die physische Bankbesuche ersetzen, klingen oft noch nach Zukunftsmusik, sieht Ronzal bei etablierten Geldinstituten. Start Ups, insbesondere FinTechs, würden aber aufzeigen, was alles bereits möglich ist und noch wäre, obwohl sie weniger Kapital und Ressourcen als die Großen zur Verfügung haben.

In anderen Branchen haben digitale Technologien, vollmobile Kommunikationsformen und soziale Netzwerke längst zu weitreichenden Umwälzungen geführt. Einstige Weltmarktführer wie Kodak versäumten den Anschluss an digitale Technologien und wurden in die Insolvenz gezwungen, nennt der FMVÖ-Vorstand ein drastisches Beispiel. Andere Unternehmen wurden zu Branchenführern in Märkten, in denen sie zuvor niemand auf der Rechnung hatte.

Gefahr
„Jetzt laufen die Banken Gefahr, dass branchenfremde Anbieter ihnen Schritt für Schritt einen wachsenden Teil ihres Kerngeschäfts abnehmen“, so zum Beispiel aktuell bei Bezahlsystemen im Internet. Einige branchenfremde Anbieter, so der Bankenkenner, erfüllen die Kundenbedürfnisse einer mit digitalen Technologien aufgewachsenen Generation teilweise schon besser und kostengünstiger.

Trotzdem oder gerade deshalb warnt der Experte vor falschen Schlüssen: „Bei einer Digitalisierungsstrategie geht es nicht darum, immer mehr Kunden zu motivieren, immer mehr Bankgeschäfte online zu tätigen, sondern ihnen zu ermöglichen, künftig selbst zu entscheiden, wann, wo und wie sie mit ihrem Institut in Kontakt treten möchten.“ Bankfilialen sind und bleiben eine wichtige Option, „allerdings in anderer Form und Funktion“.

Differenzierung
Ein wesentliches Differenzierungsmerkmal im digitalen Zeitalter werde bei Banken die Qualität der Mitarbeiter vor Ort und ihre Fähigkeit, eine hochwertige Beratung sowie einen unverwechselbaren Service zu gewährleisten, bleiben. Denn der persönliche Berater ist für viele Kunden noch immer wichtig, „allerdings nicht mehr unbedingt in der Filiale, sondern bei Bedarf auch über Video-Chat, über soziale Netzwerke, oder bei sich zu Hause“.

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