Schwellenländer auf dem Prüfstand

Durchwachsene aber per Saldo solide Entwicklung zu erwarten.

Michael Kordovsky. Ein wichtiger Stabilitätsfaktor für die Schwellenländer sind die Dollar-Zinsen und die US-Konjunktur. Eine schwache US-Wirtschaft oder zu stark steigende Zinsen können zu Kapitalabflüssen aus den Schwellenländern zurück in Dollaranleihen führen. Hingegen speisen eine gute US-Konjunktur bei gleichzeitig moderatem Dollarzinsniveau Carry-Trades und somit vor allem Zuflüsse in höher verzinste Schwellenländeranleihen.

Aktuell sind diese positiven Rahmenbedingungen gegeben: Die Wirtschaft wächst und der Preisdruck hält sich in Grenzen. Zwar ist die Inflationsrate von November auf Dezember im Einklang mit höheren Ölpreisen von 2,1 auf 2,3 % gestiegen. Doch Volkswirte gingen sogar von 2,4 % aus. Klammert man Energie und Nahrungsmittelpreise aus, so lag die Steigerungsrate mit 1,6 % sogar unter dem Fed-Ziel von 2 %. Die Fed kann somit in den kommenden Monaten ihre bisherige Geldpolitik beibehalten ohne dabei an der Zinsschraube zu drehen. Hinzu kommt noch das jüngste Tauwetter im Handelskonflikt USA-China.

Zwei Klassen von Schwellenländern
Unter den Schwellenländern trennte sich zuletzt die Spreu vom Weizen. Starke asiatische Volkswirtschaften stehen vor allem Krisenländern in Lateinamerika und Nahost (z.B. Türkei, Iran und Libanon) gegenüber. Nachdem 2019 Argentiniens Schuldenrückzahlung verschoben wurde und dort die Inflation 54 % erreichten in Venezuela bereits Zustände wie in einem tiefsten Entwicklungsland der 80er-Jahre herrschen und die Türkei einen regelrechten Zinsschock und dann im Einklang mit sinkenden Zinsen eine erneute Lira-Abwertung erlitt, werden diese Krisenländer immer mehr ausgeklammert.

Allerdings zeigen sich per Saldo bei mehreren bedeutenderen Ländern mit jüngstem Schwächeanfall Stabilisierungstendenzen. Ein Beispiel wäre da sogar die Türkei, die aufgrund einer starken Produktionswirtschaft gute Chancen auf Erholung hätte, zumal die Exportpreise im Zuge der Lira-Abwertung wettbewerbsfähig sind. Auch besteht derzeit kein Anzeichen einer Hyperinflation. Hintergrund: Als die Lira massiv abwertete und die Inflation außer Kontrolle zu geraten drohte, erhöhte die türkische Zentralbank im September 2018 den Leitzins auf 24 %. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan wechselte die Führung der Zentralbank aus. Es folgte unter politischem Druck bis 16. Jänner 2020 eine Senkung des Leitzinses auf 11,25 %. Mitermöglicht hat dies einen Rückgang der Inflationsrate, die binnen eines Jahres bis Dezember 2019 von 20,30 auf 11,84 % fiel. Nachdem die türkische Wirtschaft im Vorjahr voraussichtlich ein Nullwachstum hatte, rechnen die Volkswirte der Weltbank für heuer und 2021 mit einem Plus von je 3 bzw. 4 %.

Asien als Stütze der Weltwirtschaft
Obwohl sich in den aktuellen Global Economic Prospects der Weltbank gegenüber Juni 2019 die Wachstumsaussichten der Entwicklungs- und Schwellenländer für 2019 und 2020 um jeweils 0,5 %-Punkte verschlechterten, sind es noch immer Zuwächse von jeweils 3,5 bzw. 4,1 % (verglichen mit je 1,6 bzw. 1,4 % in den entwickelten Volkswirtschaften).

Während vor allem Südkorea und Taiwan von einer Erholung der Halbleiterbranche profitieren sollten, könnten mit den jüngsten Preisanstiegen bei Metallen und durchaus attraktiven Ölpreisen, Öl- und/oder Rohstoffexportländer wie Russland, Brasilien, Peru, Mexiko, Angola und Nigeria profitieren. Insgesamt rechnet die Weltbank bei den Rohstoffexport-Entwicklungs- und Schwellenländern für 2020 mit einer Belebung der Wachstumsrate von 1,5 auf 2,6 %. Doch die Dynamik in wichtigen Rohstoffländern hält sich voraussichtlich in Grenzen, z. B. in Brasilien (Wachstumsbeschleunigung von 1,1 auf 2 % von 2019 auf 2020), Mexiko (von 0 auf 1,1 %) oder Russland (von 1,2 auf 1,6 %). In der Region Lateinamerika/Karibik sollte sich das Wachstum im laufenden Jahr lediglich von 0,8 auf 1,8 % beschleunigen.

Die Wachstumsstützen sind eindeutig die Entwicklungs- und Schwellenländer der Region Ostasien/Pazifik mit jeweils 5,8 bzw. 5,7 % Wirtschaftswachstum 2019 und 2020 (erwartet). Selbst für die Jahre 2021 und 2022 erwartet die Weltbank noch Zuwächse von je 5,6 %, wobei China und Indonesien hervorzuheben sind. Chinas BIP-Wachstum sollte nach 6,1 % im Jahr 2019 in den darauffolgenden Jahren noch immer bei jeweils 5,9 bzw. 5,8 % liegen. Zuletzt hatte die chinesische Zentralbank den Mindestreservesatz mit Wirkung 6. Jänner um weitere 50 Basispunkte auf 12,5 % gesenkt, wodurch 115 MrdUSD frei werden, die in die Wirtschaft fließen können. Hinzukommen Infrastrukturprogramme staatlicher Einrichtungen. Auf jeden Fall sind die Aktivitätsindikatoren für große Industrieunternehmen in China im Expansionsbereich.

Bis 2022 kontinuierlich aufwärtsgehen sollte es laut Weltbank in Südasien. Von 4,9 % im Jahr 2019 sollte sich das BIP-Wachstum auf 6 % beschleunigen, wobei Indien ein Wachstumsträger ist. Für heuer werden 5,8 % erwartet ehe es die beiden folgenden Jahre mit 6,1 % weitergehen sollte. Steuersenkungen entlasten die Wirtschaft und Indiens Mittelschicht wächst weiter, was auch gut ist für den Binnenkonsum.

Foto: Adobe Stock / Richie Chan