Wie geht es mit den Zinsen weiter?

Alle reden von Negativzinsen – doch es könnte 2020 auch anders kommen.

Michael Kordovsky. Sollte weltweit die Konjunktur wieder anspringen, droht auf der Zinsseite, vor allem am langen Ende, eine negative Überraschung. Weitere Zinssenkungen kommen in den USA und Europa nur noch im Falle eines anhaltenden Abschwungs in Frage. Ansonsten ist eine Zinssenkungspause der aktuelle Expertenkonsens und im Falle eines stärkeren Aufschwungs könnte überraschenderweise sogar eine Normalisierung des Zinsniveaus zum Thema werden.

Dass sich das Wachstum der US-Wirtschaft derzeit nicht mehr weiter abschwächt zeigte Mitte Dezember eine Vorab-Auswertung eines wichtigen Einkaufsmanager-Index, der sowohl Daten für die Produktionswirtschaft als auch den Dienstleistungssektor enthält: Die zugrundeliegenden Umfragen unter Führungskräften ergeben voraussichtlich bei den Index-Komponenten Geschäftsaktivitäten, Auftragsbüchern und Stellenwachstum im Dezember einen Anstieg auf ein Fünf-Monats-Hoch.

Tauwetter als kalkulierte Konjunkturstütze
Die Ängste vor einem Handelskrieg flauten ab und der Flash U.S. Composite Output Index (von IHS Markit) stieg von November auf Dezember von 52 auf ein Fünf-Monats-Hoch von 52,2 Punkten. Umgerechnet in BIP-Wachstumsraten wären das laut Chris Williamson, Chefökonom bei IHS Markit, annualisiert mehr als 1,5 %. Damit verfliegt die Rezessionsgefahr. Der IWF rechnet für 2020 in den USA mit 2,1 % Wirtschaftswachstum, während es in China 5,8 % sein sollen. Entsprechend lang preisen die Futures-Märkte die Zinssenkungspause in den USA ein, zumal die US-Arbeitslosenquote mit 3,5 % im November 2019 auf einem 50-Jahres-Tief liegt und die Inflationsrate im November mit 2,1 % bereits das Zielniveau der Fed (2 %) überschritt.

Laut Fed-Watch-Tool der Chicago Mercantile Exchange beziffern die Futures-Märkte die Wahrscheinlichkeit gleichbleibender Leitzinsen bis zur Fed-Sitzung am 29. Juli 2020 mit 71,6 %. Die Wahrscheinlichkeit einer Leitzinserhöhung um 25 Basispunkte auf 1,75 bis 2 % schätzen die Märkte auf 4,5 % ein.

Bis 1. Jänner 2020 sind die Renditen zehnjähriger US-Treasuries auf Monatsbasis bereits um 14 Basispunkte auf 1,92 % gestiegen. Dahinter stehen einfache logische Erklärungen: Die Chance auf Wiederwahl Donald Trumps hängt maßgeblich von der Wirtschaftsentwicklung im Jahr 2020 ab. Eine große Bremse war bis dato der Handelskonflikt der USA mit China. Nun unterzeichnet Trump am 15. Jänner den ersten Teil eines umfassenden Handelsabkommens mit China. Nach US-Angaben verpflichtet sich China darin, Importe aus den USA um 200 MrdUSD über zwei Jahre zu erhöhen, wovon mindestens 40 MrdUSD jährlich den US-Landwirten – eine wichtige Wählergruppe für Trump – zugutekommen sollten. Es werden vorerst keine weiteren Strafzölle erhoben. Kritische Beobachter sehen darin jedoch nur einen „Waffenstillstand“ für den Wahlkampf.

Erste Anzeichen einer Wende
Auch in Europa sieht es nicht nach Rezession aus, sondern eher nach privatwirtschaftlichen Aktivitäten auf Sparflamme, was sich darin zeigt, dass der „IHS Markit Flash Eurozone Composite Index“ mit 50,6 Punkten im Dezember bereits zum dritten Mal hinter-einander konstant blieb. Die Kontraktionsgrenze liegt bei 50 Punkten. Zwar fällt das vierte Quartal 2019 so schwach aus wie seit dem Ende der letzten Rezession im zweiten Halbjahr 2013 nicht mehr, doch der Auftragseingang konnte erst-mals seit August 2019 wieder ein geringfügiges Plus ausweisen – ein positiver vorauseilender Indikator.

Am langen Ende sind die Zinssätze im Euroraum bereits wieder im Anstieg. Der für zehnjährige Fixzinsbindungen relevante „10-Jahres Euribor ICE Swap-Satz“ stieg von seinem historischen Tief von -0,39 % am 16.8.2019 bis 31.12.2019 auf +0,18 %, während am kurzen Ende die negativen Euribor-Sätze im Schneckentempo einen marginalen Anstieg vollziehen.

Was macht Lagarde?
Die Vermutungen von Bargeldabschaffung und tiefen Negativzinsen unter der EZB-Führung von Christine Lagarde könnten sich bald als Irrtümer entpuppen – im Gegenteil: Sie scheint wohl eher genau das zu vermeiden wollen. Indizien dafür sind, dass sie in punkto Konjunkturbelebung be-reits der Fiskalpolitik den Ball zuspielte und sie sich für eine grüne Geldpolitik ausspricht. Auch lässt sie die Strategie der EZB überarbeiten, was auf jeden Fall mehrere Monate in Anspruch nimmt. Bis dahin könnte sie noch am Arbeitsstil ihres Vorgängers Mario Draghi festhalten. Allerdings ist sie bereits jetzt um einen eigenen Stil bemüht: Sie möchte im EZB-Rat einen Konsens herstellen und hat sich für 2020 sogar vorgenommen, deutsch zu lernen. Das könnte als stärkere Anlehnung an die deutsche Linie einer restriktiveren Geldpolitik ausgelegt werden. Somit kann es geldpolitisch völlig anders kommen, als die meisten bisher erwarteten.

Ein interessanter geldpolitischer Frühindikator ist auch die Schwedische Reichsbank, die als erste Notenbank den Einlagesatz im Juli 2009 in den negativen Bereich senkte und am 19. Dezember 2019 sich mit der Anhebung des Leitzinses (Repo-Rate) von -0,25 auf 0 % von den Negativzinsen verabschiedete. Bleibt die Normalisierung des schwedischen Zinsniveaus ohne größere Nebenwirkungen, könnte dies Signalwirkung auf EZB und andere Notenbanken haben.

Foto: K.-U. Häßler / Adobe Stock