Fokus auf dem Kerngeschäft

Helvetia-Chef Thomas Neusiedler: „Es ist unser Geschäft, Risiken zu managen.“

Marius Perger. Seit 1. Jänner ist Thomas Neusiedler neuer Vorstandsvorsitzender der Helvetia Österreich. Seinen Start hat er sich wahrscheinlich anders vorgestellt, als es die Corona-Krise erlaubt hat: „Gewünscht haben wir uns diese Konstellation nicht, und antizipiert haben wie sie auch nicht“, sagt er im Interview mit dem Börsen-Kurier. Aber: „Es ist unser Geschäft, Risiken zu managen“, und deshalb rechnet er im eigenen Unternehmen auch nicht mit einem großen Einbruch durch die Pandemie. Natürlich sei die Krise herausfordernd. „Was vorher gut funktioniert hat, funktioniert jetzt auch. Was aber schon vorher herausfordernd war, ist es jetzt noch stärker.“ Doch als „Schweizer Taschenmesser unter den Versicherern“ sei Helvetia krisenerprobt und erfahren – damit sei man in den vergangenen Monaten gut gefahren.

Während Helvetia Österreich ihre operativen Budgets für das laufende Jahr halten werde können und Neusiedler „kaum Kollateraleffekte“ durch Corona sieht, stelle sich die Zahlenseite anders dar. Vieles sei dabei noch nicht abschätzbar, weil sich Effekte bei Versicherungen oft nur verzögert auswirken. Die Entwicklung an den Kapitalmärkten sei zwar „schnell im Quartalsabschluss angekommen“, Versicherer hätten allerdings einen ziemlich engen Rahmen bei der Veranlagung, es gebe kein überproportionales Risiko: „Man muss die Risikostrategie fahren, die dem Unternehmen gerecht wird. Wir fahren eine Absicherungsstrategie.“ Allerdings sei derzeit das Hedging teuer und natürlich werde man auch beim Veranlagungsergebnis unter den Erwartungen bleiben.

Immobilienanlagen unter Druck
Immer größere Bedeutung hat in den vergangenen Jahren für Versicherungen die Anlage in Immobilien erfahren: „Versicherer haben sehr stark auf ‚Betongold‘ gesetzt, jetzt müssen sie zur Kenntnis nehmen, dass das auch nachteilig sein kann.“ Gerade wenn Mittel aus hochverzinsten Anleihen frei wurden, hat man in der Vergangenheit in Immobilien investiert. Dieser Switch funktioniere nur mehr bedingt, auch weil die Immobilienrenditen mittlerweile stark gesunken sind.

90 % der Immobilieninvestments der Helvetia Österreich seien Wohnimmobilien, wo es durch Corona keine nennenswerten Ausfälle gebe. Downside bestehe nur bei den 10 % Gewerbeimmobilien, so Neusiedler. Zwar würden sich die Mieten bereits wieder zu erholen beginnen, die Frage sei aber, wie viele Mietflächen frei bleiben werden. Eine Rolle könnte dabei auch der Trend zum Homeoffice spielen, was den Bedarf nach zusätzlichen Büroflächen reduziere.

Entscheidend sei der Fokus auf das Kerngeschäft, betont Neusiedler: Man müsse Geld mit dem Versicherungsgeschäft verdienen und nicht mit Kapitalanlagen. Die Zeiten als eine Combined Ratio von 100 % kein Problem dargestellt hat, weil mit der Veranlagung 8 bis 10 % verdient wurden, seien vorbei.

Lebensversicherung bleibt Thema
„Totgesagte leben länger“, betont Neusiedler: „Die Lebensversicherung ist noch lange nicht am Ende.“ Alternativen zur Lebensversicherung gebe es keine, allerdings registriert er eine „extreme Bewegung von der klassischen zur fondsgebundenen Lebensversicherung“.

Sogar nach dem 20 März habe es Kunden gegeben, die Zuzahlungen zu ihren Verträgen geleistet hätten. Es gebe genug Kapital, das Veranlagung sucht, Österreich sei immer noch das sechstreichste Land der Welt. Allerdings steige in einer Situation wie der aktuellen die Liquiditätspräferenz, mittelfristig werde das spürbar sein: Neusiedler rechnet für ein bis zwei Jahre mit einer „Delle“, will aber „auf dem Thema draufbleiben“. Von der Regierung wünscht er sich „Ideen im Bereich der Lebensversicherung“ und dass Vorsorge „steuerlich freundlicher organisiert“ wird.

Zukunftspläne des neuen Helvetia-Chefs
Seit acht Jahren ist Neusiedler bei Helvetia und in dieser Zeit hat er mit Burkhard Gantenbein und Otmar Bodner „zwei gute Trainer“ als Unternehmensleiter gehabt. Von beiden will er „etwas mitnehmen“ und seinen eigenen Stil entwickeln. Zugute kommt ihm dabei die Konzernphilosophie: Vorgabe sei es, „von A nach B“ zu kommen. Wie das erfolgt, sei die lokale Managementherausforderung – die Schweizer Konzernmutter setze auf das Prinzip Eigenverantwortung.

Längerfristig sei es Ziel, die Markenwahrnehmung von Jahr zu Jahr zu steigern. Bei den Marktanteilen erwartet Neusiedler zwar keine Wunder, aber eine „stetige Entwicklung nach vorne“. Und was das versicherungstechnische Ergebnis betrifft, solle Helvetia „der Hecht im Karpfenteich“ sein.

Produktseitig werden die Schwerpunkte in der „qualifizierteren Ecke“ liegen, beispielsweise im Gewerbebereich. Potenzial sieht Neusiedler in Österreich in der Unfallversicherung, einen Trend gebe es zur privaten Krankenzusatzversicherung, die man mit Kooperationspartnern abdeckt.

Sorgen, dass große internationale Internetkonzerne die heimischen Versicherer brutal verdrängen könnten, hat Neusiedler nicht: Viele Kunden würden sich bei einem Schweizer Anbieter wohler fühlen als bei einem Internetanbieter. „Helvetia gibt es seit 160 Jahren. Ich bin mir sicher, dass wir in 100 Jahren auch noch leben.“

Foto: Börsen-Kurier