Mit Tiefe statt Breite

Sichtbarkeit der „Sammlung Verbund“ ist für Vorstand ein wichtiger Aspekt.

Lea Schweinegger. Sie ist etwas ganz Besonderes: die Sammlung des heimischen Stromanbieters Verbund. Was sie so besonders macht? Sie verhalf Künstlerinnen und Künstlern zu internationaler Bekanntheit und begeistert auch Museen und Sammler in ganz Europa. Für den Verbund-Vorstand ist die Sammlung nicht nur eine Prestigesache, sondern wurde von der Führung und vor allem von der Gründerin der Sammlung, Gabriele Schor, mit Verstand und Leidenschaft aufgebaut. „Mit Tiefe statt Breite“, wie sie sagt. Heute begeistert die Sammlung des heimischen Stromriesen in der internationalen Kunstwelt und findet viel Anerkennung.

Im Gespräch mit dem Börsen-Kurier geben die Leiterin der Kunstsammlung sowie der stellvertretende Vorsitzende des Verbund, Michael Strugl, Einblicke in die Sammlung und die Motivation dahinter.

Börsen-Kurier: Herr Strugl, welchen Stellenwert hat Kunst für Sie, nicht nur als Teil der Unternehmenskultur, sondern auch persönlich?

Michael Strugl: Kunst wirkt bei mir auf der emotionalen Ebene, das merke ich sehr schön bei den großformatigen Fotografien von Loan Nguyen, die in meinem Büro hängen und mit denen ich täglich lebe. Sie wirken auf mich und meine Besucherinnen und Besucher interessanterweise beruhigend. Kunstwerke geben auch immer einen Anlass für einen spannenden Gedankenaustausch, das schätze ich auch sehr an jeder Art von Kunst, sei es Theater, Oper, Musik, Film oder Bildende Kunst.

Als ich in das Unternehmen kam, war ich vom Umfang und der internationalen Bedeutung der „Sammlung Verbund“ positiv überrascht. Dies hat sich dann vergangenes Jahr in Barcelona verstärkt, wo ich im CCCB (Centre de Cultura Contemporània de Barcelona) unsere Ausstellung der „Feministischen Avantgarde“ eröffnen konnte. Eine großartige kunstgeschichtliche Aufarbeitung, was Frauen in den 1970er-Jahren künstlerisch geleistet haben. Seit zehn Jahren tourt unsere Ausstellung durch Europa. Diese Breitenwirkung ist für eine Firmensammlung etwas ganz Besonderes.

Börsen-Kurier: Was will das Unternehmen mit der Sammlung ausdrücken und wie wichtig ist es für den Vorstand, die Sammlung für die Öffentlichkeit sichtbar zu machen?

Strugl: Die Öffentlichkeit ist ein wichtiger Aspekt für die Sammlung, da wir als Verbund der Gesellschaft verpflichtet sind und mit der Sichtbarkeit der Kunstwerke der Gesellschaft einen Mehrwert geben wollen. Durch die enorm positive Öffentlichkeit wurden viele Künstlerinnen erstmals bekannt und wieder ins Bewusstsein der Kunstgeschichte gerückt. Die aktuelle Ausstellung „The Beginning. Kunst in Österreich 1945 bis 1980“ in der Albertina Modern im Künstlerhaus zeigt dies etwa eindrücklich. Dort sind viele der von uns aus der Vergessenheit geholten Künstlerinnen vertreten. Unsere Firmensammlung schafft damit bleibende Werte.

Börsen-Kurier: Albertina-Chef Klaus Albrecht Schröder sagte einmal in einem Gespräch: „Wer Kunst kauft, ist deshalb kein Mäzen!“ Welche Rolle spielt für den Vorstand Ihres Unternehmens das Mäzenatentum?

Strugl: Unsere Sammlungsleiterin Gabriele Schor erwirbt Kunstwerke aus kunsthistorischen und ästhetischen Überlegungen, nicht aus spekulativen Gründen. Da wir für die Werke einen wissenschaftlichen Kontext erarbeiten, Publikationen und Ausstellungen schaffen, fruchtet diese nachhaltige Strategie, und wir freuen uns, dass die Werke auch über die Jahrzehnte am Kunstmarkt mehr wert werden. Dies hilft natürlich auch den einzelnen Künstlerinnen und Künstlern.

Die Frau der ersten Stunde
Börsen-Kurier:
Seit 16 Jahren steht Kunstinteressierten, Kunden des Hauses und Mitarbeitern die „Vertikale Galerie“ mit bis dato selten gesehenen Kunstwerken von österreichischen und aus dem Ausland stammenden Künstlerinnen zur Ansicht zur Verfügung, darunter unter anderem Werke der Multimediakünstlerin Renate Bertlmann, die 2019 den österreichischen Pavillon der Biennale von Venedig bespielte, Brigitte Jürgenssen, Valie Export, die im Mai ihren 80. Geburtstag feierte, Francesca Woodman, Cindy Sherman und von anderen.

Frau Direktor Schor, wenn Sie Ihre Jahre, die spannende Auswahl an Werken, die sie getroffen haben, und Ihre Erfolge als Gründerin, Kuratorin und Leiterin der Sammlung Revue passieren lassen, wie zufrieden sind Sie über das Erreichte bzw. das Feedback in Österreich und aus dem Ausland?

Gabriele Schor: Sehr zufrieden. Am meisten freue ich mich für die Künstlerinnen, die durch den Terminus, die Bücher und die Ausstellungen der „Feministischen Avantgarde“ einen kunsthistorischen Kontext haben, der die Sichtbarkeit ihrer Werke ermöglicht und auch nachhaltig in der Kunstgeschichte festigt. Unsere Ausstellung im „mumok“ im Jahre 2017 beispielsweise hatte über 90.000 Besucher, das ist ein großer Erfolg, abgesehen davon, dass diese Schau seit zehn Jahren durch Europa tourt und etwa 430.000 Besucher sie gesehen haben.

Börsen-Kurier: Wie viele Werke beinhaltet die „Sammlung Verbund“ aktuell? Allein von Jürgenssen wurden ja 50 Arbeiten angekauft.

Schor: Insgesamt verfügt die „Sammlung Verbund“ über 1.000 Werke von 157 Künstlern, davon sind 120 Frauen und 37 Männer. Von diesen zählen 81 Künstlerinnen zur Feministischen Avantgarde der 1970er-Jahre. Dieses Gender-Verhältnis unterscheidet uns von einigen Kunstsammlungen. Wir erwerben nach unserer Maxime „Tiefe statt Breite“. Von unserem anderen Schwerpunkt „Die Wahrnehmung von Räumen und Orten“ verfügen wir über die größte Werksammlung von Gordon Matta-Clark, Fred Sandback und Louise Lawler. Weiters gingen wir bei Birgit Jürgenssen, Renate Bertlmann, Francesca Woodman und Cindy Sherman sehr in die Tiefe und erwarben ganze Werkblöcke.

Börsen-Kurier: Wie ist Ihr Blick auf den Kunstmarkt und welche Bedeutung hat er in Bezug auf die Sammlung Verbund?

Schor: Ich erwerbe nach kunsthistorischen Kriterien. Die Werke der Künstler der 1970er-Jahren haben nach wie vor einen zu geringen Preis am Markt. Aber das ändert sich zusehends. Das ist gut so. Ich freue mich, dass die „Sammlung Verbund“ dazu etwas beitragen konnte.

Börsen-Kurier: Die Kunstwelt leidet ganz besonders unter der Corona-Krise. Ist für heuer noch eine Ausstellung angedacht und können Kunstinteressierte bereits wieder die aktuelle Schau „Feministische Avantgarde – Made in Austria“ sehen?

Schor: Unsere „Made in Austria“-Ausstellung in der Vertikalen Galerie wird ab September bis Ende November 2020 wieder für Publikum zugänglich sein. Da die Nachfrage groß ist, werden wir mehrere Termine pro Woche anbieten.

Börsen-Kurier: In welchem Land planen Sie eine nächste Ausstellung bzw. haben Sie vor der Krise eine geplant? Wenn ja, wird sie stattfinden?

Schor: Die heuer geplante Ausstellung im „International Center of Photography“ in New York wurde leider bis auf Weiteres verschoben.

Nächstes Jahr wird die Ausstellung „Feministische Avantgarde der 1970er Jahre. Werke aus der Sammlung Verbund“ mit Werken von bisher 81 Künstlerinnen im Lentos-Museum in Linz gezeigt, was mich sehr freut. Unsere nächste Schau außerhalb Österreichs findet 2022 in Novi Sad statt, in dem Jahr ist die serbische Stadt „Europäische Kulturhauptstadt“.

Börsen-Kurier: Gibt es Künstler, die Sie für die Sammlung Verbund ins Auge gefasst haben, die aber noch nicht Teil der Sammlung sind?

Schor: Wir recherchieren ständig neue Positionen aus mehreren Generationen.

Börsen-Kurier: Vielen herzlichen Dank für das interessante und aufschlussreiche Gespräch.

Foto: Redtenbacher