Das Zahlenspiel mit der BIP-Schrumpfung
Die Kontraktion im zweiten Quartal sollte medial nicht zu sehr dramatisiert werden.
Michael Kordovsky. Das 2. Quartal zeigt das volle Ausmaß der Corona-Krise und die negativen BIP-Daten scheinen derzeit einander zu übertreffen, wobei zwischen Schrumpfungen gegenüber dem Vorquartal, annualisierten, sprich aufs Jahr hochgerechneten, Schrumpfungen gegenüber dem Vorquartal und der laut Meinung des Autors wirklich sinnvollen Messung im Vergleich zum Vorjahres-Quartalszeitraum unterschieden werden muss, denn:
Der aktuelle „Datensalat“, ins-besondere in manchen Headlines vermittelt teils eine regelrechte „Weltuntergangsstimmung“. Beispiel USA: Das reale BIP ist im zweiten Quartal gegenüber dem Vorquartal mit einer jährlichen Rate von 32,9 % gesunken – und das nach einem Minus von 5 % im ersten Quartal. Die Netto-Exporte von Gütern und Dienstleistungen schrumpften um 64,1 % und die privaten Investitionen im Inland brachen um 49 % ein. Das klingt doch nach Apokalypse.
Aber was ist wirklich geschehen?
Diese aufs Jahr hochgerechneten Quartalvergleiche gegenüber dem Vorquartal haben zwar in den USA Tradition, doch bodenständige Volkswirte werfen auch einen Blick auf die Veränderung gegenüber dem Vorjahreszeitraum also vom 2. Quartal 2019 auf das 2. Quartal 2020 und da sieht die Welt schon wieder ganz anders aus: Da verminderte sich plötzlich der Rückgang der Wirtschaftsleistung auf -9,5 % und im ersten Quartal waren es noch 0,3 % Zuwachs. Der dramatische Exporteinbruch schrumpfte auf -23,7 % und die privaten Inlandsinvestitionen waren auf einmal nur noch um 17,9 % rückläufig.
Wesentlich nüchterner wird über China berichtet. Chinas Wirtschaftsleistung wuchs im zweiten Quartal auf Jahresbasis (gegenüber Vorjahresquartal) wieder um 3,2 %, nachdem im ersten Quartal wegen der Abriegelung von Städten und der Lockdowns die Schrumpfung bei -6,8 % lag. Im laufenden Quartal mehren sich die Anzeichen einer stärkeren Erholung. Beispielsweise stiegen im Juli Chinas Exporte im Vergleich zum Vorjahresmonat um 7,2 %.
Europas Krise überschaubar
In Europa veröffentlicht Eurostat beim BIP zwei Arten von Veränderungen, jene von einem Quartal auf das darauffolgende und den Vorjahresvergleich der Quartalszahlen. Die saison- und kalenderbereinigten Zahlen der vorläufigen Schnellschätzung für das 2. Quartal 2020 ergaben zwar die bei Weitem stärksten Rückgänge seit Beginn der Zeitreihe im Jahr 1995, doch die Gesamtgrößen vermitteln ein realistisches Bild:
Gegenüber dem 1. Quartal 2020 brach im 2. Quartal 2020 die Wirtschaftsleistung im Euroraum und der EU um jeweils 12,1 bzw. 11,9 % ein. Auf Jahresbasis, sprich vom 2. Quartal 2019 auf das 2. Quartal 2020, lagen die Rückgänge bei -15,0 bzw. -14,4 % (1. Quartal je -3,1 bzw. -2,5 %), was auf besonders restriktive Corona-Maßnahmen quer durch Europa zurückzuführen ist.
Es ist unter aktuellen Rahmenbedingungen eher unwahrscheinlich, dass sich das in dieser Form wiederholt, denn die Folge wäre eine unkontrollierbare Pleitewelle. Bereits jetzt herrscht in den Banken „Alarmstufe Rot“, denn die europäischen Geldhäuser haben ihre Risikovorsorgen für faule Kredite drastisch hochgeschraubt.
Normalisiert sich das Wirtschaftsgeschehen wieder, so ist dies eine schrittweise Rückkehr zum Wachstum, was China bereits vorexerziert hat und Länder wie Spanien, Frankreich und Italien, deren Wirtschaftsleistung auf Jahresbasis im zweiten Quartal 2020 um je 22,1 %, 19,0 % bzw. 17,3 % schrumpfte, sollten mittelfristig in der Lage sein, dann überdurchschnittlich zu wachsen bzw. besser gesagt sich zu erholen.
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