„Fehlentwicklungen aufzeigen und bekämpfen“

Der neue IVA-Vizepräsident Florian Beckermann im Gespräch über Themen und Ziele. 

Manfred Kainz. Er ist in der Aktionärsszene kein Unbekannter, im Gegenteil. Mit an die 200 besuchten Hauptversammlungen heimischer Aktiengesellschaften in den vergangenen zehn Jahren ist Florian Beckermann (Foto) kritisch-aktiver Aktionär und seit 2012 Vorstandsmitglied des Interessenverbandes für Anleger (IVA). In Nachfolge von Michael Knap, der seine IVA-Vizepräsidentenfunktion kürzlich ruhend stellte, hat Beckermann nun diese Funktion übernommen. Und leitet damit gewissermaßen einen Generationswechsel im IVA ein. Beckermann ist Volkswirt, Jurist, Managing Director im Immobilienbereich sowie Associate Professor für Bilanzierung & Bilanzanalyse. Der Börsen-Kurier sprach mit ihm über seine Themen und Ziele im IVA.

Pro Präsenz-HV
In Zeiten von virtuellen Hauptversammlungen bricht Beckermann eine Lanze für Präsenzversammlungen. Diese seien „das Forum der Aktionäre, wo sie dem Vorstand und Aufsichtsrat zumindest einmal im Jahr persönlich physisch in die Augen schauen können. Das Podium muss detailliert Rede und Antwort stehen und es soll eine echte offene Diskussion stattfinden“. Lebendige Aktionärskultur sei ein „People‘s business“, das digital nicht ersetzt werden könne, „und eben keine Barbara-Karlich-Show im Nachmittags-TV. Eine Hauptversammlung kann unterhalten, ist aber keine Unterhaltungsveranstaltung oder bloße Formalität“, so Beckermann.

Verbreiterung
Am Beispiel Wirecard, das auch zahlreiche österreichische Anleger betrifft, zeige sich weiters, dass Anlegeraufklärung und Anlegerschutz mittlerweile eine grenzüberschreitende, internationale Herausforderung sind. Daher formuliert er seine „Kernbotschaft“ als neuer IVA-Vize so: „Vernetzte Märkte bedürfen auch eines vernetzten Anlegerschutzes, sodass auch internationale Fehlentwicklungen schnell aufgezeigt und bekämpft werden können.“

Deshalb pflegt der IVA schon seit jeher Kontakte mit den europäischen Organisationen und Verbänden im deutschsprachigen Raum. So wie in den dortigen Organisationen üblich, wünscht sich Beckermann für die Zukunft mehr Akteure im Anlegerschutz; aus aktuellen Anlässen seien gerade auch Aufsichtsräte aufgerufen – insbesondere wenn internationale Erfahrung gegeben ist.

Young Shareholders
Weiteres Ziel Beckermanns ist es, mittels „Netzwerkarbeit“ junge Menschen zum Aktionärstum zu motivieren. Ein Kick-Off organisierte er schon im Herbst 2019 mit der gutbesuchten Premierenveranstaltung mit der World Federation of Young Investors, wo die IVA-Initiative „Young Shareholders Austria“ aus der Taufe gehoben wurde. Aktionär sein und das Recht, Anteile zu kaufen und zu verkaufen, heiße auch, Verantwortung zu haben und seine Rechte als Aktionär bzw. Depotinhaber zu kennen, ist Beckermanns Credo. Denn eines professionellen Anlegerschutzes gegen Missbräuche und Selbstbedienungsmentalität zu bedürfen, könne „jeden treffen“.

Aktionäre von morgen
Der neue IVA-Vize setzt auf junge „Aktiensparer von morgen“. Denn das seien Menschen, die sich mit Bitcoin beschäftigen, ihre Finanzangelegenheiten am Handy erledigen und über diverse (digitale) „Vehikel“ schon am Kapitalmarkt teilnehmen. Deren Interesse sei da, jetzt müsse man sie zum „Sprung“ in Aktien motivieren. „Die Stimme bei einer Hauptverssammlung zu erheben kommt mit dem Selbstbewusstsein von ganz allein.“ So gesehen will Beckermann den IVA und den Anlegerschutz „in die nächste Generation führen“ und sieht, dass bei vielen Jungen „angekommen ist, dass man sich einbringen kann“. Diese und alle anderen seien zum Mitmachen aufgerufen.

Viel Handlungsbedarf
Auch die volkswirtschaftliche Sicht ist Beckermann ein Anliegen. „Green Finance“ sei die Chance, nachhaltiges Anlegen in der Bevölkerung zu verankern und die „Elemente Stärkung des Investitionsstandortes und bewusstes Aktionärstum“ zu verbinden. Jeder habe „Verantwortung für seine finanzielle Zukunft“ und Krisen wie Corona würden zeigen, dass die Renten nicht „sicher“ sind. Daher brauche es mehr Bewusstsein, dass z. B. Pensionskassen in Aktien investieren und so dem Wirtschaftskreislauf Kapital zuführen, und dass es bei den vielgepriesenen Startups um Risikokapital geht. Eine Behalte-Frist für Aktien, ab der Erträge dann steuerfrei sind, wünscht sich Beckermann von der Politik, ebenso wie verpflichtende Realwirtschafts- und Finanzbildung im Schulsystem. Angesichts der aktuellen Anlegerschädigungsfälle verweist er auf Skandinavien: Dort lernen schon Schüler, wie man eine Bilanzanalyse macht.

Foto: Florian Beckermann