„Prozesse sind nicht auszuschließen“

Homeoffice wirft Versicherungsfragen auf. Experten warten gespannt, wie erste Fälle entschieden werden.

Manfred Kainz. Es ist schon Teil der „neuen Normalität“ geworden, ob man will oder nicht: das Homeoffice. Wir kennen es selbst oder von anderen: Laptop am Küchentisch, Videokonferenz mit Wohnzimmerregalen im Hintergrund. Ein Konferenzmoderator mit Humor meinte: In so viele fremde Wohnungen habe er bisher noch nie blicken können. Eigene Arbeitszimmer zu Hause waren wohl noch nie so hochgeschätzt wie in der Corona-Zeit. Mit oder ohne einem solchen: Arbeitszeit und Nichtarbeitszeit verschwimmen immer mehr.

Und das schafft Fragen rechtlicher Natur. Deshalb haben sich Politik und Sozialpartner zum Auftrag gesetzt, die neuen Herausforderungen der Homeoffice-Welt, die vom traditionellen Arbeits- und Sozialrecht nicht abgedeckt sind, gesetzlich außer Streit zu stellen. Zeitplan: bis nächstes Frühjahr. Bis dahin kann aber viel passieren.

Abgrenzungsschwierigkeit
Beispiel: War die Frage „Was gilt als Arbeitsunfall?“ schon in der „alten“ Berufswelt keineswegs immer klar beantwortbar (schlag nach bei den Kriterien der AUVA), so kommt jetzt die Frage „Unfall zu Hause berufsbedingt oder nicht?“ dazu. Stürzen am Weg vom Laptop bzw. Schreibtisch in die Küche, Verunfallen beim Schneeräumen vorm eigenen Haus, damit der Kunde herein kann … Die Abgrenzung, was berufsbedingt ist und was nicht, ist schwierig.

Wenn man sich bei Unternehmen umhört, so scheint die diesbezügliche Absicherung der Mitarbeiter kein großes Thema zu sein. Ein Manager einer großen Versicherungsgesellschaft meinte im Gespräch: Mobiles Büro „ist ein riesengroßer, ungeregelter Graubereich“, sogar in seinem eigenen Haus (!). Wenn man mögliche Unfallszenarien des Mobile Office durchdenkt, sei vieles unklar, was die Abgrenzung, Beweislast und (finanzielle) Absicherung betrifft. Deshalb empfiehlt (nicht nur) er eine private Unfallversicherung.

Staatliche Versicherung
Wohl auch, um finanziell nicht ganz abhängig von der Sozialversicherung zu sein, genauer: von der gesetzlichen Unfall- und Pensions-/Invaliditätsversicherung. Erstere zahlt, das heißt, man bekommt eine Leistung der AUVA, wenn diese den Unfall als Berufs-/Arbeitsunfall, also während des Dienstes, anerkennt. Da gab es aber schon Aha-Erlebnisse und böses Erwachen. Und die verschwimmenden Grenzen im Homeoffice machen es noch schwieriger.

Leistung aus der gesetzlichen (Invaliditäts-)Pensionsversicherung gibt es zwar jedenfalls – unabhängig davon, ob es ein Arbeitsunfall ist oder nicht – im Falle von Erwerbsunfähigkeit bzw. Invalidität als Folge eines Unfalls. Aber das große finanzielle Füllhorn darf man sich da nicht erwarten.

Privat vorsorgen
Praktiker erwarten jedenfalls, dass mit Homeoffice die Zahl der Unfälle zu Hause zunehmen wird. Denn im homeworking tun sich neue „Stresssituationen“ auf, die man aus dem Büro nicht kennt. Solche neuen Stressfaktoren erhöhen die Unfallwahrscheinlichkeit in den eigenen vier Wänden.

Und so hält auch Ewald Maitz, mehrfacher Buchautor zu Schadens-, Haftpflicht- und Unfallversicherung, Schadenexperte und bei Finanzdienstleistern bzw. Versicherungsvermittlern auch bekannt als Gründer der Datenbank www.versdb.at, im Gespräch mit

dem Börsen-Kurier den Abschluss einer privaten Unfallversicherung jedenfalls für sinnvoll – mit einer „ordentlichen“ Invaliditätsleistung. Bei so einer Versicherung gebe es keinen Streit, ob Arbeitsunfall oder Privatunfall. Und eine private Rechtsschutzversicherung kann auch nicht schaden, falls man wegen eines Homeoffice-Unfalls mit der Sozialversicherung streiten muss, oder vor dem Arbeitsgericht, wenn es Differenzen mit dem Dienstgeber gibt.

Beweisführung
Was im Zusammenhang mit Homeoffice bleibt, ist die Schwierigkeit der Beweisführung, dass es ein Unfall „im Dienst“ oder „am Weg zur Arbeit“ (zum Laptop) war. Prozesse sind nicht auszuschließen. Maitz: „Es wird spannend, wie erste Fälle entschieden werden.“

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