Warten auf die Normalisierung
Tilmann Galler von JP Morgan AM rechnet mit einem Paradigmenwechsel an den Börsen.
Raja Korinek. Die Welt steht wieder Kopf. In Europa, aber auch in den USA schwappt gerade die nächste Corona-Welle über. „Damit nimmt der Stress auf das Gesundheitssystem zu“, konstatiert Tilmann Galler, Kapitalmarktstratege bei J.P. Morgan Asset Management. Die Welle hat aber auch Folgen für die privaten Haushalte, allen voran in den USA. „Denn dort lässt die staatliche Unterstützung nach. Ein neues Fiskalpaket ist nicht in Sicht.“ Folglich sinkt die Sparquote wieder, die jenseits des Atlantiks vor gut einem Dreivierteljahr ein historisches Hoch von rund 25 % erreicht hatte und zuletzt auf gut 12 % gesunken ist.
Europas Fiskalpolitik im Fokus
Etwas besser gefällt Galler das Umfeld in Europa. Da gebe es nach wie vor staatliche Unterstützungen. Auch der geplante Wiederaufbaufonds sei fixiert, „muss aber noch ratifiziert werden“. Positiv hebt Galler auch hervor, dass der Einkaufsmanagerindex in der Region wieder das Vorkrisenniveau erreicht habe.
Doch jenseits des Atlantiks sieht der JP-Morgan-Experte ebenfalls Lichtblicke: „Die Auftragseingänge steigen allmählich, während Lagerbestände abgebaut werden.“ Er meint, dass das der Wirtschaft Rückenwind verschaffen dürfte. Chinas Wachstum sei bereits über dem Niveau von vor der Pandemie. Überhaupt solle 2021 das Jahr der „Normalisierung“ sein, sobald auch ein Impfstoff gefunden sei.
Zinsniveau bleibt niedrig
Doch was passiert dann mit den Zinsen? Schließlich dürfte mit einem Anspringen der Konjunktur die Inflation wieder zulegen. Galler glaubt aber nicht, dass die Zentralbanken mit Anhebungen reagieren werden. Schließlich gehe es um die Finanzierbarkeit der Fiskalprogramme. „Das wird bei steigenden Zinsen schwieriger.“ Galler verweist auch auf den Kurswechsel der US-Notenbank im Sommer. Angesichts der Tatsache, dass die Inflation in den USA derart lange unter der Zielmarke von 2 % verharre, werde man künftig ein Überschießen über diese Marke eine Zeit lang tolerieren, bevor die Leitsätze angehoben würden, so die neue Strategie.
Anderswo kann sich Galler sehr wohl eine Veränderung vorstellen: Mit der Einführung eines Impfstoffes und der Belebung der globalen Konjunktur dürfte die Rotation von Wachstums- zu Value – sogenannten Substanzaktien – anhalten. Einen kleinen Vorgeschmack gab es bereits kurz nach der Erfolgsmeldung von Pfizer und Biontech zu einem Corona-Impfstoff am 9. November. Da legten Substanzaktien, etwa aus der Reisebranche, kräftig zu, während zahlreiche Technologieaktien nachgaben.
Dabei verdeutlicht ein Blick auf die Bewertungsdifferenz des Kurs-Gewinn-Verhältnisses (KGV) zwischen jenem von Wachstumsaktien (rund 28) und jenem von Substanzaktien (rund 12) die Kluft, die sich seit der Erholungsrallye nach dem Märzcrash aufgetan hat.
Weil aber noch immer zahlreiche Unsicherheiten rund um die Einführung eines Impfstoffes bestünden, rät Galler zu einer balancierten Mischung zwischen den zwei Welten.
Begrenzte Bondchancen
Und wo sieht der Profi Ertragschancen auf der Bondseite? Galler rät zu einer Beimischung chinesischer Anleihen in lokaler Währung. Dort liegen die Renditen im Schnitt bei rund 3 %. In Europa verweist er auf Chancen bei Unternehmensanleihen aus dem Investment-Grade-Segment, „allerdings im unteren Bereich, daher mit einem Rating von einem BBB“. Wer sich das Risiko zutraue, könne sich auch in den Hochzinsbereich wagen. Dort rät Galler zu den höher bewerteten Bonds, um das Risiko in Grenzen zu halten.
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