Das Reich der Mitte bleibt die Wachstumslokomotive

Der Schwellenländerexperte Sean Taylor sieht ausgehend von China eine Konjunkturbelebung.

Stefan Riedel, München. Schwellenländer werden bei der für 2021 globalen konjunkturellen Erholung vorangehen. Treibende Kraft ist dabei China, das Land, in dem die Corona-Pandemie ihren Ursprung hatte und das als einzige unter den großen Volkswirtschaften bereits 2020 wieder ein Wirtschaftswachstum verzeichnete. Allerdings sollten Anleger bei ihren Schwellenländer-Investments nicht nur auf den China-Faktor setzen, sondern die asiatisch-pazifische Region als Ganzes. Zu dieser Einschätzung kommt Sean Taylor, Chefanlagestratege der Deutschen Bank für Schwellenländer, im Gespräch mit dem Börsen-Kurier.

„Geheimtipps“: Südkorea, Indonesien und Thailand
Asien als Ganzes steht vor einem neuen Wachstumsschub. Das im November 2020 von 15 Staaten unterzeichnete Freihandelsabkommen RCEP (Anm.: Die Regional Comprehensive Economic Partnership ist ein seit 2020 bestehendes Freihandelsabkommen zwischen den zehn ASEAN-Mitgliedsstaaten und fünf weiteren Staaten in der Region Asien-Pazifik. Es ist die größte Freihandelszone der Welt.) wird Taylor zufolge die gesamte Region mittel- bis langfristig zu einem Handelsblock formen, dessen Vorteile allen Mitgliedern zugutekommen. Das größte Potenzial für positive Überraschungen in diesem Jahr räumt Taylor Südkorea, Indonesien und Thailand ein. Mittel- bis langfristig wiederum komme China zugute, dass die Corona-Krise frühzeitig eingedämmt wurde: „Anders als die meisten westlichen Industriestaaten wird China in der Zeit danach nicht damit beschäftigt sein, den immensen Schuldenberg aus den Finanzierungsprogrammen abzutragen, die zur Bewältigung der Krise aufgelegt wurden.“ Stattdessen könne China noch mehr in den Aufbau der eigenen technologischen Infrastruktur und von extern unabhängigen Lieferketten investieren.

Zykliker bevorzugt
Vor diesem makroökonomischen Hintergrund erwartet Taylor in diesem Jahr anziehende Unternehmensgewinne bei den zyklischen Branchen und in den Servicesegmenten. Vorübergehend abflachen soll dagegen das im Vorjahr beschleunigte Wachstum bei den Nutznießern der Corona-Krise, also den E-Commerce-Spezialisten und den Unternehmen, welche die Digitalisierung der Wirtschaft vorantreiben. Auf der Währungsseite erwartet Taylor angesichts der steigenden öffentlichen Investitionen unter der neuen US-Regierung eine Abwertung des US-Dollars gegenüber asiatischen Währungen wie dem chinesischen Renminbi oder dem koreanischen Won.

In dem von ihm gemanagten Investmentfonds „DWS Invest ESG Global Emerging Markets Equities LD“ (ISIN: LU10984221009), der im Mai 2019 aufgelegt wurde, favorisiert Taylor aktuell Nicht-Basiskonsumgüter, Technologie-Hardware, Halbleiter, den Finanzsektor und auf selektiver Basis Rohstoffe. Auf geografischer Ebene sind die asiatischen Industrie- und Schwellenländer mit einem Anteil von 77 % klar übergewichtet, gefolgt von Lateinamerika mit fast 13 %. Aufgrund der niedrigen Bewertungen räumt Taylor hier Brasilien für 2021 ein großes Aufholpotenzial ein. Abwartend bleibt er dagegen bei Russland und anderen Märkten, deren Wachstum in erster Linie von der Preisentwicklung bei Erdöl und Rohstoffen getrieben ist.

Nachhaltigkeit kein Randthema mehr
Die zunehmende Attraktivität der Schwellenländer für Investoren zeigt sich für Taylor auch bei der wachsenden Rolle von Nachhaltigkeitsaspekten. Gerade in Asien legen immer mehr Unternehmen Wert auf Transparenz und gute Unternehmensführung. Zugleich verdeutliche die neue Welle an Börsengängen die wachsende Bedeutung des Finanzplatz China und seiner lokalen Investoren.

Ähnlich wie in der Realwirtschaft setzt China auf mehr Eigenständigkeit: „Immer mehr Zweitlistings von chinesischen Firmen erfolgen nicht mehr als ADRs an US-Börsen, sondern in Shanghai oder Hongkong. Auf der Anleihen-Seite forcieren regulatorische Erleichterungen den Kauf von festverzinslichten Wertpapieren durch heimische Anleger und stabilisieren damit die Währung.“ Größtes Unsicherheitsrisiko für die wirtschaftliche Entwicklung aller Schwellenländer und damit für die Performance der Investments bleibe, dass die Bekämpfung der Corona-Pandemie sich länger als erwartet hinzieht.

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