Freigehandelt statt armregiert
Die Freihandelszone „AfCFTA“ bietet neue Chancen für einen ganzen Kontinent.
Rudolf Preyer. Von den „großen Chancen auch für Europa“ spricht Sandra Bijelic von der Industriellenvereinigung gegenüber dem Börsen-Kurier: Die am 1. Jänner 2021 in Kraft getretene innerafrikanische Freihandelszone „AfCFTA“ (Africa Continental Free Trade Area) müsse auch uns interessieren, „da die EU wichtigster Handelspartner für seinen südlichen Nachbarkontinent ist. Sowohl bei den Direktinvestitionen als auch beim Warenhandel liegt die EU im weltweiten Vergleich deutlich vor China und den USA“, so Bijelic.
Gegenwärtig steuert der Kontinent weniger als 3 % der globalen Wirtschaftsleistung bei. Mehr als die Hälfte davon stammt aus Nigeria, Südafrika und Ägypten. Was versteckt sich also hinter dem Wortungetüm „AfCFTA“?
Panafrikanischer Markt nach EU-Muster
Die Ausgangslage bietet – nun, sagen wir euphemistisch – „viel Luft nach oben“: Die Fragmentierung des afrikanischen Marktes schreckt Investoren ab. Fehlende Straßen und Lagersysteme, mangelnde Kooperation der Regierungen, zeitraubende und hinderliche Ausfuhrbestimmungen sowie Unsicherheiten im juristischen Umfeld (Stichwort Korruption) erhöhen die Handelskosten auf dem Kontinent. Das wissen auch die afrikanischen Souveräne: 54 der 55 Mitgliedsstaaten der Afrikanischen Union (AU; Ausnahme: Eritrea) brachten daher am 7. Juli 2019 in Niamey (Niger) das interkontinentale Freihandelsabkommen „AfCFTA“ auf den Weg, das seit Jahresultimo 2021 gilt (Achtung: aber nur 34 Staaten haben das Abkommen bisher ratifiziert). Dazu Bijelic: „Die neue Freihandelszone kann einen wichtigen Beitrag dazu leisten, den Handelsverkehr auf dem afrikanischen Kontinent neu zu ordnen.“ Konkret: „Eine stärkere wirtschaftliche Integration bringt mehr Produktvielfalt, niedrigere Konsumentenpreise, ein höheres Einkommensniveau und politische Stabilität.“ Vom Sitz des ständigen Sekretariats in Accra (Ghana) aus soll ein panafrikanischer Markt nach EU-Muster entstehen. Das erklärte Ziel: ein freier Waren- und Personenverkehr und die Liberalisierung von Dienstleistungen.
Zurück zum Status quo: Afrikaner benötigen derzeit für zwei Drittel der afrikanischen Staaten Einreisebewilligungen. Eine Folge davon: Aktuell werden nur 17 % des Handels auf dem Kontinent mit anderen afrikanischen Staaten abgewickelt (innerhalb Europas sind es vergleichsweise 69 %).
Förderung von Rechtsstaatlichkeit unerlässlich
Fantasie ist ja gewaltig vorhanden für die rund 1,2 Mrd Menschen der – einmal umgesetzt – dann größten Freihandelszone der Welt: Diese könnte die Abhängigkeit von (Entwicklungsgeldern aus) Europa, China und den USA vermindern (die ja auch maßgeblich die afrikanischen Rohstoffvorkommen ausbeuten). So findet die industrielle Verarbeitung vieler Produkte – darunter Kakao, Kaffee, Gewürze, Baumwolle oder Tomaten – kaum auf dem Kontinent selbst statt: Der zusätzliche Wertzuwachs wird somit außerhalb Afrikas lukriert.
Volker Seitz, Autor von „Afrika wird armregiert“, beschwört, die Absichtserklärung als „sehr langfristiges Projekt“ zu verstehen: Es werde noch viele Jahre dauern, bis die Handelserleichterungen, Transitregeln und ein einheitliches Verfahren für Zollbehörden (90 % aller Zölle sollen geplantermaßen wegfallen) konsequent umgesetzt werden.
Kritisch sieht das etwa auch der kenianische Wirtschaftsanalyst Aly Khan Satchu: Vom jetzigen asymmetrischen Wirtschafts- und Informationsraum des Kontinents profitieren „viele reaktionäre Kräfte“. Und diese werden sich „mit aller Gewalt gegen Neuregelungen“ querstellen.
Importe (etwa virenabweisende Schutzausrüstungen) aus Europa, China und den USA bringen die lokalen Märkte ins Ungleichgewicht. Afrika könne mit der Freihandelszone „AfCFTA“ folglich „die Abhängigkeit vom Rest der Welt verringern“, ist Lyndia Iroulo vom Hamburger GIGA-Institut überzeugt. Sind auch Sie dieser Meinung, lohnt es sich bestimmt, beim Berater Ihres Vertrauens nach Investitionsmöglichkeiten in Afrika zu fragen. Die Weltbank jedenfalls schätzt den Anstieg von Afrikas Wirtschaftsleistung bei 335 Mrd Euro in einer Generation ein.