Konsumboom oder Basiseffekt?

Die aktuellen Absatzsteigerungen im Einzelhandel sind kritisch zu hinterfragen.

Michael Kordovsky. Kehrt in Europa alles wieder zur Tagesordnung zurück oder ist es gar ein neues Wirtschaftswunder mit Konsumboom?

Auf jeden Fall sollten folgende Zahlen genau hinterfragt werden: Im April beschleunigte sich der jährliche Zuwachs des Absatzvolumens des Einzelhandels im Euroraum von 13,1 % im März auf „sagenhafte“ 23,9 %. Dabei wuchs der Nicht-Nahrungsmittel-Bereich ohne Motorenkraftstoffe um 42,6 % (März 26,9 %). Explosionsartig stieg mit dem Beginn der Urlaubszeit die Tankstellennachfrage. An der Zapfsäule konsumierten die Einwohner des Euroraums im Jahresvergleich um 65,5 % mehr, während im Feber 2021 der Einbruch noch bei 12 % lag.

Im Jänner und Feber 2021 verzeichnete der gesamte Einzelhandel ein Absatzminus von je 4,8 bzw. 1,4 %. Die Sparte Nahrungsmittel, Getränke und Tabakwaren lag indessen je 6,1 bzw. 2,6 % im Plus. Der Versand- und Interneteinzelhandel boomte noch bis März. Im ersten Quartal lagen hier die durchschnittlichen Zuwächse zum Vorjahr pro Monat bei 39,5 %, ehe im April ein Rückgang auf 18,2 % folgte.

Basiseffekte und Normalisierung
Was steckt hinter diesen Zahlen? Es sind Basiseffekte. Im März und April 2020 schrumpfte das Einzelhandelsvolumen gegen die Vergleichsmonate 2019 um jeweils 8,2 bzw. 19,4 %. Rechnet man als Ausgangswert jenen von 2019 mit hundert, dann startete die Basis bei je 91,8 bzw. 80,6 Punkten. Darauf ein Plus von je 13,1 bzw. 23,9 % ergibt je 103,8 bzw. 99,9 Punkte. Während im März das Absatzvolumen im Einzelhandel gegenüber 2019 bereits wieder 3,8 % im Plus lag, befand es sich im April marginal -0,1 %-Punkte unter dem Niveau von 2019.

Die Einzelhandelsaktivitäten normalisieren sich wieder und der während der Krise so stark gefragte Online-Handel erlebt gerade eine Gegenbewegung. Das erklärt auch im April auf Monatsbasis das Minus von 2,9 % beim Versand- und Internet-Einzelhandel.

Starke Gegenbewegungen fallen im gesamten Einzelhandel in Luxemburg (46,1 %), Frankreich (42,1 %) und Slowenien (41,7 %) auf, während Deutschland und die Niederlande nur moderate Zuwächse von 6,6 bzw. 9,8 % meldeten. In Frankreich, Luxemburg und Slowenien waren die Abstürze im April 2020 mit je 29,0 %, -29,8 % bzw. -22,7 % entsprechend stark. Hingegen in Deutschland und den Niederlanden hielt sich der vorangegangene Einbruch mit 5,7 bzw. 5,3 % in Grenzen.

Wie geht es weiter?
Die Sparneigung der Konsumenten wird nicht so schnell vergehen. Digitalisierung führt zu struktureller Arbeitslosigkeit. Gleichzeitig verteuerten sich die Wohnkosten, insbesondere die Kosten bei Anschaffung von Wohneigentum. Parallel dazu ist zu erwarten, dass Banken zur Vermeidung einer Immobilienblase ihre Mindestkriterien für Immobilienkredite verschärfen, insbesondere in Österreich. Höhere Eigenmittel würden dann Wohneigentum nochmals aufwendiger machen. Aber auch Mieten verteuern sich und die Wohnausgaben haben als elementarste Ausgaben Vorrang gegenüber allen anderen Posten. Erst dann kommen die Güter des täglichen Bedarfs.

Auf der Strecke bleiben Bekleidung, Reisen, Autos und Luxusartikel. Vor allem, wenn die Delta-Variante des Corona-Virus weltweit erneute Lockdowns erfordert, dann kann es bereits in den kommenden Wochen zu einem erneuten Abschwung kommen.

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