Ist die Inflation außer Kontrolle?

Die Teuerung gewinnt in den USA und Europa an Dynamik. Doch was steckt dahinter?

Michael Kordovsky. Die US-Notenbank Fed orientiert sich an einem Inflationsdurchschnitt von 2 %, während die EZB im Zuge ihrer neuen Strategie ein symmetrisches Inflationsziel von mittelfristig 2 % verfolgt, dessen Toleranzspielräume sich in den geldpolitischen Entscheidungen der kommenden Jahre zeigen werden.

Fakt ist, dass sowohl die Fed als auch offensichtlich die EZB nur von einem vorübergehenden Inflationsanstieg ausgehen. In den USA wäre sonst längst eine Handlung – zumindest in Form eines Drosselungsplanes bis hin zur Einstellung der monatlichen Anleihenkäufe von 120 MrdUSD – erforderlich gewesen. Denn von 1,4 % im Jänner stieg die Inflationsrate bis Juni 2021 auf 5,4 %, wo sie auch im Juli verharrte. Im gleichen Zeitraum stieg die Jahresteuerung im Euroraum von 0,9 auf 1,9 % ehe sie im Juli noch weiter auf 2,2 % sprang.

Die Rede ist von Warenknappheit, Lieferengpässen und Personalmangel – alles Nachwirkungen der Lockdowns, die seit März 2020 weltweit die Wirtschaft lahmlegen. Noch immer mangelt es am Seeweg an Containerkapazitäten und zahlreiche Arbeitskräfte – insbesondere im Euroraum – haben die soziale Hängematte neu entdeckt. In der Folge stieg die Pricing-Power der Gewerkschaften und das Ingangsetzen einer Lohn-Preis-Spirale ist nicht mehr ausgeschlossen.

Niedrige Kerninflation im Euroraum
Doch was stimmt die Notenbanken derzeit so gelassen? Im Euroraum rechnet die Zentralbank laut Pressekonferenz vom 10. Juni für heuer mit einer Inflationsrate von

1,9 % und in den kommenden beiden Jahren (2022 und 2023) nur noch mit jeweils 1,5 bzw. 1,4 %. Die HVPI-Inflation ohne Energie und Nahrungsmittel wird den Projektionen der Volkswirte des Eurosystems zufolge von 1,1 % im Jahr 2021 auf 1,3 % (2022) und 1,4 % (2023) steigen, was zwar im Vergleich zum März 2021 eine Aufwärtsrevision über den gesamten Projektionshorizont darstellt, aber im Vergleich zur aktuellen Dynamik der Teuerung wohl mehr wie eine konservative „Beamtenprognose“ erscheint.

Aber das Ganze hat einen plausiblen Hintergrund: Derzeit sorgt noch der Ölpreis und in der Folge die Energiepreiskomponente für Verzerrungen. Laut Schnellschätzung Juli 2021 hat sich die Teuerung der Energiepreiskomponente, die mit 9,5 % im gesamten HVPI gewichtet ist, von Juni auf Juli von 12,6 auf 14,1 % beschleunigt. Somit trägt diese Komponente rund 1,3 %-Punkte zur Inflation bei. Bei den unverarbeiteten Lebensmitteln folgte auf 0,3 % Rückgang ein Anstieg um 1,8 %. Hingegen zeigten Industriegüter ohne Energie und Dienstleistungen mit je 0,7 bzw. 0,9 % noch wenig Preisauftrieb, doch in einer gewissen Zeitverzögerung kann es auch hier stärkere Impulse nach oben geben.

Rechnet man eine Kerninflation ohne Energie, Lebensmittel, Alkohol und Tabak, so zeigt sich sogar eine rückläufige Tendenz von 1 % Anstieg im Mai auf je 0,9 bzw. 0,7 % im Juni und Juli (Niveau von April 2021). Da kann die EZB ruhig entspannt sein!

Energie und Gebrauchtwägen in USA die Preistreiber
Etwas anders ist die Situation in den USA, wo unter anderem gebrauchte Autos im Juli auf 12-Monatssicht im Preis explodierten, nämlich um 41,7 %. Auch fiel wegen niedrigerer Energieeffizienz der Volkswirtschaft der Anstieg der Energiepreiskomponente mit 23,8 % teurer aus als in Europa. Die Energiepreiskomponente fiel mit 1,472 %-Punkten ins Gewicht und die Gebrauchtfahrzeuge mit 1,08 %-Punkten.

Die jüngsten Anstiege der Stundenlöhne hingegen sind nicht aussagekräftig, da während der Lockdowns vor allem billige Jobs in der Gastronomie, Hotellerie und im Handel verlorengingen, während die hochbezahlten, qualifizierten Stellen eher ins Homeoffice „abwanderten“. Doch Fachkräfte werden zukünftig ein klarer Engpassfaktor – vor allem im Zusammenhang mit Bidens Infrastrukturprogramm von mehr als 1 BioUSD.

Darüber hinaus wird auch die Versorgung mit Baumaterialien zur Herausforderung. Eine Art „Hyperinflation“ in der Bauwertschöpfungskette ist nicht mehr ausgeschlossen.

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