Konjunkturtrends in Europa
Wohin die konjunkturellen Trends in Europa gehen
Michael Kordovsky. Fünf Quartale in Folge schrumpfte im Euroraum die Wirtschaftsleistung, ehe sich im zweiten Quartal 2021 plötzlich in der Vorab-Schnellschätzung ein BIP-Wachstum von 13,7 % zum Vorjahreszeitraum ergab, dem noch im ersten Quartal ein jährlicher Rückgang um 1,3 % voranging. 2020 folgte auf -3,2 % im ersten Quartal eine Schrumpfung von 14,4 %, gefolgt von -4,0 und -4,6 % im dritten und vierten Quartal. In einer ersten Revision liegt nun das BIP-Wachstum im zweiten Quartal 2021 bei 13,6 %. Damit liegt der Wert noch immer knapp 2,8 % unter dem Vorjahresniveau.
Die starke Erholung im zweiten Quartal war von entsprechendem Getöse seitens diverser Einkaufsmanagerindizes begleitet. Doch es gibt dabei Nebengeräusche wie Hinweise auf Lieferengpässe und Personalmangel, die weitere Expansion vorerst begrenzen. Vor allem an Arbeitskräften mangelt es und das liegt nicht an einem neuen „Wirtschaftswunder“, sondern ist ein europäisches Spezifikum, das man als „pandemische Tachinose“ bezeichnen könnte. Denn jetzt haben sich im Zuge von Kurzarbeit und ausgedehnten Arbeitslosenunterstützungen sehr viele Arbeitsmarktteilnehmer an die soziale Hängematte gewöhnt. Das schlägt sich klar auf die Erwerbstätigkeit nieder, die im Euroraum im dritten Quartal und vierten Quartal 2020 sowie im ersten Quartal 2021 noch um 1,8 bis 2,1 % schrumpfte, ehe im zweiten Quartal 2021 ein Wachstum von 1,8 % folgte. Allerdings lag der Rückgang im 2. Quartal 2020 bei 2,9 %. Das Erwerbstätigkeitsniveau liegt somit noch rund 1,15 % unter Vorjahresniveau. Es sind noch lange nicht alle einstigen Teilnehmer an den Arbeitsmarkt zurückgekehrt und eine generelle Rückkehr bleibt fraglich.
Anhaltende Dynamik im dritten Quartal, aber …
Interessant sind auch die Länder, die gerade aufholen. Die stärksten Zuwächse im zweiten Quartal verzeichneten Spanien (19,8 %), Frankreich (18,7 %), Ungarn (17,7 %) und Italien (17,3 %). Mit 7,4 % etwas schwächer fiel das Wachstum in Finnland aus.
Noch signalisierte der „IHS Markit Composite Index Eurozone“ für Juli mit 60,2 Punkten (bereits 0,4 Basispunkte unter Flashwert) das stärkste Wirtschaftswachstum seit 2006, da der Service-Sektor es noch stützte, während die Produktionssteigerungsrate in der Industrie sich auf ein Fünf-Monatstief abschwächte. Positiv ist aber, dass Deutschland unter den vier wichtigsten Volkswirtschaften der Eurozone mit neuem Rekordwachstum Spitzenreiter war. Selbst in Italien legte die Wirtschaftsleistung so stark zu wie zuletzt vor dreieinhalb Jahren, was sich bereits im zweiten Quartal abzeichnete. Auf jeden Fall ist auch Chris Williamson, der Chef-Ökonom bei IHS Markit, positiv gestimmt: „Neben dem anhaltend starken Wachstum in der Industrie bedeutet die beeindruckende Stärke der Expansion des Dienstleistungssektors im Juli, dass sich das BIP-Wachstum in der Eurozone im dritten Quartal 2021 beschleunigen dürfte.“
Ein Risikofaktor ist die Corona-Delta-Variante, zumal in Neuseeland, Australien und China bereits neue Lockdowns begonnen haben. Dazu Williamson: „Die Sorgen über die Delta-Variante haben zunehmend um sich gegriffen, was die Geschäftstätigkeit in einigen Fällen gedämpft und die Besorgnis über die Möglichkeit einer erneuten Verschärfung der Pandemie-Restriktionen geweckt hat.“
Entscheidend ist nun die Konjunktur außerhalb des Euroraums. Hoffnung machen ein Infrastrukturprogramm in den USA und ein gewisser Wachstumspegel in China.
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