August Zillmer und seine Formel
Ein Name in zwei Begriffen: Deckungsrückstellung und Abschlusskosten.
Rudolf Erdner. August Zillmer war deutscher Versicherungsmathematiker im 19. Jahrhundert. Er stellte das nach ihm benannte Zillmer-Verfahren 1863 vor. Es ist laut Wikipedia „eine mathematische Formel zur Berechnung des wirtschaftlichen Wertes einer Verpflichtung, den ein Versicherer aus einem Lebensversicherungsvertrag hat“. Dies klingt durchaus vernünftig, sowohl für Versicherer als auch Versicherten, über den Versicherungswert Bescheid zu wissen. Was aber verbirgt sich dahinter? Gablers Wirtschaftslexikon wird schon etwas genauer. Es definiert den Begriff „Zillmern“ als „Verfahren zur Beitragsberechnung, zur Berechnung der Deckungsrückstellung und zur Verrechnung (und damit auch zur Finanzierung) der Abschlusskosten in der Lebensversicherung“. Die Zillmerung bedeutet also unter anderem, Abschlusskosten zu verrechnen. Aber was ist daran so besonders? Ermöglicht wird durch die Zillmerung, Abschlusskosten einmalig oder auf eine kleine Anzahl von Perioden verteilt, im Voraus zu verrechnen. Ungezillmerte Verträge teilen Abschlusskosten über die gesamte Laufzeit auf. Was ist vernünftiger, speziell für den Versicherten? Verbraucherschützer haben eine eindeutige Meinung dazu. Doch wie sehen es Versicherer? Wir sprachen mit Christian Nuschele von Standard Life, wo er als Head of Sales & Marketing für Österreich und Deutschland verantwortlich ist.
Börsen-Kurier: Herr Nuschele, Verbraucherschützer raten zum Abschluss von ungezillmerten Verträgen. Wie sehen Sie das, raten Sie das auch?
Nuschele: Ich kann das nur unterstützen, ungezillmerte Tarife haben erhebliche Vorteile. Es kommt aber sehr stark auf die individuelle Kundensituation an. Grundsätzlich würde ich den Konsumentinnen und Konsumenten raten, einen unabhängigen Berater hinzuzuziehen. Der Berater kann die individuelle Vorsorgesituation analysieren und aus dem breiten Markt die passende Lösung für den Kunden wählen. Ich bin mir sicher, dass dies in vielen Fällen ein ungezillmerter Tarif sein wird.
Börsen-Kurier: Welche Vorteile haben die Kunden generell von ungezillmerten Verträgen?
Nuschele: Bei ungezillmerten Tarifen werden die Kosten laufend von jedem Einzahlungsbeitrag entnommen. Sie verteilen sich also auf die gesamte Laufzeit. Dadurch wird von jedem Investment von Anfang an ein sehr hoher Anteil in den Versicherungsvertrag angelegt, weil keine vordiskontierten Abschlusscourtagen zur Verrechnung gelangen. Das hat den Effekt, dass die Rückkaufswerte von Vertragsbeginn an deutlich höher sind als bei gezillmerten Tarifen. Es fördert auch den Vermögensaufbau, weil ab der ersten Prämienzahlung ein größerer Anteil investiert wird und die Vorteile des Zinseszinseffektes noch deutlicher spürbar werden. Damit eignen sich diese Tarife für Versicherte, die einerseits langfristig anlegen, andererseits aber auch flexibel bleiben möchten. Das erlaubt ihnen, trotz eventueller steuerlicher Nachteile bereits während der Vertragslaufzeit über das ganze oder über Teile ihres angesparten Vermögens zu verfügen. Auch gezillmerte Tarife können Vorteile haben, denn alles, was bereits am Anfang bezahlt worden ist, macht die zweite Hälfte eines Tarifes möglicher-weise etwas kostengünstiger. Daran sieht man deutlich, wie wichtig eine kompetente, am besten unabhängige Beratung ist, die möglichst umfassend auf die individuelle Kundensituation eingeht.
Börsen-Kurier: In welchen Produktkategorien wirken sich diese Vorteile besonders aus?
Nuschele: Da geht es ganz eindeutig um die Fondspolizze und zwar unabhängig davon, ob sie als Rentenversicherung oder als Lebensversicherung mit Verrentungsoption ausgestaltet ist. Die Tarife am österreichischen Markt sind in der Regel so aufgebaut, dass bei ratierlichen Versicherungsverträgen eine vierprozentige Versicherungssteuer fällig ist und damit alle Steuern abgegolten sind. Erträge wie Dividenden und Kursgewinne müssen später nicht mehr extra besteuert werden. Dieses österreichische Modell ist sehr fortschrittlich. Es erlaubt auch Zuzahlungen bis zur Höhe der Beitragssumme, die ebenfalls nur der vierprozentigen Versicherungssteuer unterliegen. Ein Beispiel: Bei einer jährlichen Prämienzahlung von 3.000 Euro und einer Laufzeit von 30 Jahren wäre entsprechend einer maximalen Zuzahlung eine Gesamtsumme von 90.000 Euro möglich. Dieser breite Gestaltungsspielraum bringt insbesondere gegenüber dem normalen Anlegen in Investmentfonds auf einem Depot sehr große Vorteile.
Börsen-Kurier: Gibt es für die Versicherungsunternehmen ebenfalls Vorteile durch den Vertrieb ungezillmerter Verträge?
Nuschele: Das lässt sich gar nicht so schwarz-weiß beantworten. Das hängt von der grundsätzlichen Kalkulation eines Versicherungsunternehmens ab. Wir als Standard Life machen beides. In manchen Bereichen liefert das gezillmerte Geschäft höhere Erträge für den Kunden ab. Für das ungezillmerte Geschäft haben wir exklusiv für den österreichischen Markt einen ganz speziellen Tarif entwickelt, der in bestimmten Kundensituationen unschlagbar ist, das oben beschriebene bestehende System optimal zu nutzen. Vorteile können sich für Versicherungsunternehmen ergeben, weil sie keine Courtage vorfinanzieren müssen und kein Courtageausfallsrisiko haben.
Börsen-Kurier: Wann wird der Zeitpunkt kommen, zu dem es auf dem Markt nur mehr ungezillmerte Verträge geben wird?
Nuschele: Ich glaube nicht, dass dieser Zeitpunkt kommen wird. Ich fürchte, dass in einigen Jahren die Regulatorik so weit sein wird, dass womöglich gar keine Courtagen mehr bezahlt werden dürfen, egal ob gezillmert oder ungezillmert. Bei der europäischen Regulierung geht es in Richtung Honorarberatung. Da ist die EU aber auf dem falschen Weg. Die Art und Weise der Vergütung der Finanzdienstleistung hat nichts mit der Qualität der Beratung zu tun. Aus meiner Sicht sollte der Konsument auch weiterhin die Wahl zwischen einer Provisions- und Honorarberatung haben.
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