Kernkraft und Gas sind jetzt „grüne“ Energiequellen
Die EU-Kommission bleibt dabei: Kernenergie und Gas werden als nachhaltig eingestuft.
Andreas Dolezal. Erst in der vergangenen Silvesternacht, kurz vor Mitternacht, hat die EU-Kommission den Entscheidungs- bzw. Konsultationsprozess darüber eingeleitet, ob Kernenergie und Gas als nachhaltig und grün eingestuft werden. Sollte die EU-Kommission gehofft haben, mit diesem bemerkenswerten Timing kontroversen Diskussionen aus dem Weg zu gehen, hat sie sich getäuscht.
Der Konsultationsprozess war nicht öffentlich. Der Entwurf einer ergänzenden Taxonomie-Verordnung (Anm.: die Taxonomie ist ein Klassifikationsschema und stammt aus dem Altgriechischen für Ordnung und Gesetz) ging an die Plattform für nachhaltiges Finanzwesen und die Sachverständigengruppe der Mitgliedstaaten für nachhaltiges Finanzwesen. Die beiden Gremien hatten gerade einmal bis Mitte Jänner Zeit, um ihre Beiträge vorzulegen.
Klage gegen Kommissionspläne
Österreichs Klimaschutzministerin Leonore Gewessler und sämtliche Umweltschutz-Organisationen liefen von der ersten Sekunde an Sturm gegen den Plan, Atomstrom und den fossilen Brennstoff Gas als „grün“ einzustufen. Österreich ist fest entschlossen Klage einzureichen, wenn sich die Pläne der EU-Kommission durchsetzen. Und genau danach sieht es nach der Pressekonferenz von EU- Kommissarin Mairead McGuinness am 2. Feber aus.
„Wir müssen alle uns zur Verfügung stehenden Instrumente nutzen, um Klimaneutralität zu erreichen“, sagt Kommissarin McGuinness. Und weiter: „Heute legen wir dar, wie Gas und Kernenergie einen Beitrag zum schwierigen Übergang zur Klimaneutralität leisten können.“
Die einzelnen Mitgliedstaaten der Europäischen Union werden weiterhin in vollem Umfang über ihren eigenen Energiemix entscheiden, die Taxonomie bleibt ein freiwilliges Instrument, bekräftigt sie. Auch Investoren können weiterhin frei entscheiden, ob sie in Kernkraft oder Erdgas investieren wollen.
Kernenergie und Gas werden nur unter bestimmten Voraussetzungen als nachhaltig gelten. Bei Kernenergie sind das Verbesserungen und fortschrittliche Technologien bei den Sicherheitsstandards und der Abfallbewirtschaftung (Stichwort Atommüll). Für Gaskraftwerke gelten strenge Auflagen, einschließlich Emissionsgrenzwerten, und es wird verlangt, dass die Anlagen emissionsintensive Anlagen ersetzen. Dazu kommen „im Interesse der Transparenz“ Vorschriften für die Offenlegung.
Viele Kernenergie-Befürworter
Nachdem die EU-Kommission den delegierten Rechtsakt angenommen hat, liegt der Ball beim Europäischen Parlament und den Mitgliedstaaten. Sie haben vier Monate (falls erforderlich auch sechs Monate) Zeit, den Text zu prüfen. Zu verhindern ist das geplante Inkrafttreten am 1. Jänner 2023 nur noch dann, wenn 20 der 27 EU-Mitgliedstaaten, die mindestens 65 % der EU-Gesamtbevölkerung repräsentieren, oder eine absolute Mehrheit im EU-Parlament dagegen stimmen. Danach sieht es aber ganz und gar nicht aus. Es gibt zu viele Befürworter der Kernenergie unter den EU-Staaten.
Wenig Aussicht auf Erfolg
Österreich erwägt dennoch, dagegen zu klagen. Abgesehen davon, dass die meisten Juristen so einer Klage wenig Aussicht auf Erfolg geben, übersieht die Umweltministerin aber augenscheinlich, dass auch Österreich, insbesondere in den Wintermonaten, wenn unsere Wasserkraftwerke angesichts niedriger Wasserstände zu wenig Strom erzeugen, seinen Strombedarf mit importiertem Atomstrom deckt bzw. decken muss. Das Erzeugen von Atomstrom abzulehnen, ihn aber wohlwollend zu importieren, erfordert schon eine ziemlich breite Grätsche. Zumal auch Bundeskanzler Karl Nehammer bereits ebenso zutreffend wie martialisch prophezeit hat: „Wahrscheinlich verlieren wir diesen Krieg.“ Die Diskussion darüber, ob Kernenergie und Gas nachhaltige und „grüne“ Energiequellen sind, wird jedenfalls auch in den kommenden Monaten weitergehen.
„Der heutige Tag ist nicht das Ende – aber er ist ein Mittel zum Zweck. Wir müssen so schnell wie möglich aus den kohlenstoffreichsten Energiequellen wie Kohle aussteigen. Während dieses Übergangs kann das bedeuten, unvollkommene Lösungen zu akzeptieren“, hält Kommissarin McGuinness am Ende der Pressekonferenz fest. „Das Ziel ist eine kohlenstoffarme Zukunft, die mit erneuerbaren Energien betrieben wird. Dazu sind wir noch nicht in der Lage.“
So viel Realitätssinn in den Worten einer EU-Kommissarin macht beinahe schon wieder optimistisch, dass wir die Energiewende tatsächlich schaffen.
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