Taxonomie: Die EU formuliert soziale Ziele
Umweltziele hat die Kommission bereits definiert. Eine Sozial-Taxonomie wird folgen.
Andreas Dolezal. Nachhaltige Investitionen stehen im Fokus des Grünen Deals der Europäischen Union und des Aktionsplanes für nachhaltiges Wachstum. Mit dem Lenken von Anlagegeldern in nachhaltige Investitionen soll die Finanzbranche einen wesentlichen Beitrag zum Erreichen der europäischen Klima- und Umweltziele leisten. Die Basis dafür bildet die oft zitierte Taxonomie, also jene Verordnung der EU-Kommission, die bereits seit 12. Juli 2020 in Kraft ist und einen „Rahmen zur Erleichterung nachhaltiger Investitionen“ einrichtet.
Nachhaltige Investitionen im europäischen Sinne orientieren sich an den bekannten ESG-Kriterien: Umwelt, Soziales und Unternehmensführung. Um einen einheitlichen Rechtsrahmen zu schaffen und die Beiträge, die eine Investition zu einem der ESG-Kriterien leistet, bewerten zu können, hat die EU-Kommission bereits sechs Umweltziele definiert.
Umweltziele gemäß Artikel 9 der Taxonomie-Verordnung
• Klimaschutz
• Anpassung an den Klimawandel
• Nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen
• Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft
• Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung
• Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme
Für Soziales und Unternehmensführung gibt es bis dato keine festgelegten Ziele. Das soll sich ändern. Die Plattform für nachhaltiges Finanzwesen, ein Beratungsgremium der EU-Kommission, hat im Juli des vergangenen Jahres erste Gedanken zum Ausgestalten von sozialen Zielen vorgelegt, die als Basis für eine Sozial-Taxonomie dienen sollen.
In diesem Entwurfsbericht ist zu lesen, dass Vieles darauf hindeutet, dass Anleger soziale Investitionen als Chance sehen, ebenso wie sie erkennen, dass es riskant ist, soziale Faktoren beim Investieren nicht zu berücksichtigen. Daher sei es von entscheidender Bedeutung, zu präzisieren, was eine soziale Investition ausmacht, wie diese zu bewerten ist und nicht zu Lasten anderer Ziele und Beiträge geht.
Eine Sozial-Taxonomie soll dazu dienen, Kapitalströme in jene Unternehmen und Wirtschaftstätigkeiten zu lenken, die die Menschenrechte respektieren, und gleichzeitig Investitionen fördern, die die Lebensbedingungen, insbesondere für benachteiligte Menschen, verbessern. Auf diese Weise würde eine Sozial-Taxonomie den Anlegern ein dringend benötigtes Instrument zur Unterstützung ihrer Investitionsentscheidungen an die Hand geben, meint die Plattform für nachhaltiges Finanzwesen. Dabei soll die vorhandene Umwelt-Taxonomie als Vorbild dienen. Wobei erkannt wird, dass es schwierig sein wird, quantifizierbare Kriterien für eine Sozial-Taxonomie zu entwickeln.
Die vorgeschlagene Struktur einer Sozial-Taxonomie hat eine horizontale und eine vertikale Dimension. Horizontal werden Risiken bzw. negative Auswirkungen für Mensch (Mitarbeiter, Stakeholder, Gesellschaft) und Umwelt betrachtet, vertikal Produkte, Dienstleistungen und Investitionen, die zusätzlich nützliche Beiträge zur Verwirklichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDG) leisten. Auch die Merkmale nachhaltiger Unternehmensführung sollen einfließen. Diesbezüglich liegt der Schwerpunkt auf Themen wie Bestechung, Besteuerung und Lobbying.
Die vertikale Dimension umfasst hinsichtlich Nachhaltigkeitsrisiken unter anderem Diversity Management, menschenwürdige Arbeitsbedingungen, Gewerkschaftsrechte sowie Verantwortung in der Lieferkette. Ein angemessener Lebensstandard soll gefördert werden, der Produkte und Dienstleistungen zur Befriedigung menschlicher Grundbedürfnisse (wohnen, Nahrung und sauberes Wasser, Bildung, Internet, saubere Elektrizität usw.) zugänglich macht.
Die horizontale Dimension beschäftigt sich mit den Auswirkungen der wirtschaftlichen Aktivitäten, also Produkten und Dienstleistungen, auf die Menschen. Positive Auswirkungen sollen gefördert, negative vermieden und bewältigt werden. Als Ziele genannt werden das Sicherstellen menschenwürdiger Arbeit, das Fördern von Verbraucherinteressen und die Ermöglichung integrativer und nachhaltiger Gemeinschaften. Sämtliche Ziele sollen sich auf die gesamte Wertschöpfungskette beziehen.
Als Beispiele, die beide Dimensionen betreffen können, werden das Einkaufen bei regionalen Anbietern zur Schaffung von Arbeitsplätzen, Ausbildungsdienstleistungen zur (Wieder-)Eingliederung in den Arbeitsmarkt und das Minimieren des Wasserverbrauchs genannt. Ziele einer Sozial-Taxonomie sollen auch das Vermeiden von Zwangsarbeit und das Bekämpfen von Kinderarbeit sein.
Nicht nur mit diesen letztgenannten Zielen schlägt das Expertengremium die Brücke zur guten und nachhaltigen Unternehmensführung. Auch die Vielfalt des höchsten Leitungsorgans und oberen Managements (Geschlecht, Fähigkeiten, Erfahrung, Hintergrund) soll berücksichtigt werden, ebenso wie die Bekämpfung von Bestechung und Korruption, verantwortungsvolle Rechnungsprüfung sowie verantwortungsvolles Lobbying und politisches Engagement.
Fazit
Das Formulieren von sozialen Zielen ist recht einfach (insbesondere dann, wenn man sie nur formulieren, und nicht als Unternehmen be- und verfolgen muss). Es gibt eine Fülle an vorhandenen Standards, an denen sich die Plattform für nachhaltiges Finanzwesen – und letztendlich die EU-Kommission – orientieren kann. Zur Herausforderung wird das weitreichende Umsetzen von zielgerichteten Maßnahmen in den Unternehmen selbst werden, insbesondere etwa in den globalen Lieferketten. Zu großen Problemen werden die messbaren Bewertungskriterien. Wie misst man das Erreichen von sozialen Zielen?
Einen Eindruck davon, wie überbordend bürokratisch messbare Bewertungskriterien sein können, liefern uns jene für die ersten zwei (sic!) der sechs definierten Umweltziele. Die betreffende EU-Verordnung, die seit 1. Jänner 2022 in Kraft ist, erstreckt sich für nur rund 100 Wirtschaftstätigkeiten auf stolze 349 Seiten. Bewertungskriterien für alle sechs Umweltziele könnten sich also, einfach hochgerechnet, auf mehr als 1.000 Seiten ausdehnen. Der Katalog an messbaren Bewertungskriterien für soziale Aktivitäten wird wohl nicht kompakter werden. Und dann fehlen uns immer noch Ziele sowie Bewertungskriterien für das nachhaltige Unternehmertum.
Der Journalist Josef Urschitz betitelte seinem Beitrag für die Tageszeitung Die Presse vom 22. Dezember 2021 zum Thema „Green Financing“ mit der Überschrift „Wie die EU eine gute Idee zu Tode reguliert“, und spricht darin von „Strangulieren anstatt Regulieren“. Dem kann der Börsen-Kurier leider nur zustimmen.
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