Ukraine-Krise beschleunigt Energiewende
Grüne Energiequellen machen Europa unabhängiger von russischem Erdgas.
Michael Kordovsky. Die Erdgaslagerbestände sind relativ niedrig und noch immer bezieht die EU rund 40 % des Erdgases aus Russland, Österreich sogar 80 %. Doch was passiert bei plötzlichen Ausfällen? Dazu Christian Kimmich, Senior Researcher und Sprecher für Klima- und Umweltpolitik beim IHS, gegenüber dem Börsen-Kurier: „Unmittelbarer Ersatz für Ausfälle ist wohl nur durch andere Quellen möglich, insbesondere durch das preislich, aber eben auch energetisch deutlich teurere Flüssiggas. Umso wichtiger ist es, die Energie- und Wärmewende jetzt zu beschleunigen.“ Ein Entwurf für das Erneuerbare Wärmegesetz soll schon im Mai vorliegen. „Parallel sollte der Umstieg auf Wärmepumpen oder teilweise auch andere Wärmelösungen und Investitionen in Dämmung und thermische Isolationen und entsprechende PV-Anlagen so einfach wie möglich gemacht werden. Insbesondere die Haushalte sind hier gefragt, weil die Substitution in der Industrie nicht so leicht ist“, so Kimmich. Damit können wir auch nichtnachhaltige Sofortmaßnahmen, wie beispielsweise Kraftwerksverlängerungen, zumindest teilweise ersetzen. „Entscheidend wird also sein, wie der Umstieg der Haushalte finanziell, aber auch beratend und administrativ so einfach und schnell wie möglich gelingen kann. Die unabhängige Energieberatung könnte hier eine entscheidende Rolle spielen“, erklärt Kimmich.
Ukraine-Krise als Beschleunigungsfaktor
Die Krise ist auf jeden Fall eine Chance für die Energiewende, vor allem für die Wärmewende. „In österreichischen Haushalten sind noch circa 900.000 Gasthermen aktiv. Ein Großteil sollte relativ bald durch Wärmepumpen ersetzt werden, thermische Isolierung ist aber in vielen Fällen zusätzlich nötig. Photovoltaik auf dem Dach ist die ideale Ergänzung. Die Krise wird hier mit Sicherheit beschleunigend wirken, der Förderrahmen durch Bund und Länder zum Ausstieg ist gegeben“, zeigt Kimmich Zuversicht.
Kritischer wird auf der Ebene der Stromversorgung die Überbrückung der Phasen ohne Wind und Sonne im Winter, also die Entwicklung saisonaler Speicherlösungen. Gas ist bei der Energiewende bisher eben noch komplementär zu den Erneuerbaren: „Pumpspeicherkraftwerke, Smart Grids, oder auch Elektroautos als Regelkraftwerke werden aber attraktiver.“
„Wenn jetzt eine erhöhte Investitionsbereitschaft für erneuerbare Energieträger besteht, müssen neben den Spitzenlastkraftwerken aber auch andere Engpässe berücksichtigt werden, beispiels-weise Vorlaufzeiten für Inbetriebnahme, Lieferengpässe, aber auch der Arbeits- und vor allem Fachkräftebedarf beim Ausbau der Erneuerbaren Energien“, so Kimmich uns gegenüber.
Am 8. März 2022 hat die EU mit „REPowerEU“, einem gemeinsamen europäischen Vorgehen für erschwinglichere, sichere und nachhaltige Energie auf die Ukraine-Krise reagiert. Ziel: Europa soll deutlich vor 2030 von fossilen Brennstoffen aus Russland, zu-nächst von Erdgas, unabhängig werden. Durch „REPowerEU“ soll die Gasversorgung diversifiziert und die Einführung von Gas aus erneuerbaren Quellen für Heizung und Stromerzeugung beschleunigt werden. Dadurch kann die Nachfrage der EU nach russischem Gas vor Ende des Jahres um zwei Drittel verringert werden. Bereits am 14. Juli 2021 hat die Europäische Kommission das „Fit for 55“-Paket präsentiert und zwölf Vorschläge angenommen, um die Politik der EU in den Bereichen Klima, Energie, Landnutzung, Verkehr und Steuern so zu gestalten, dass die Netto-Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 % gegenüber dem Stand von 1990 gesenkt werden. In Bezug auf Russland-Abhängigkeit verkündete die Europäische Kommission: „Durch eine vollständige Umsetzung der Vorschläge der Kommission im Rahmen des Pakets ‚Fit für 55‘ würde unser jährlicher Verbrauch an fossilem Gas bis 2030 bereits um 30 % oder 100 Mrd Kubikmeter reduziert. Mit den Maßnahmen im Rahmen des Plans „REPowerEU“ könnten wir schrittweise mindes-tens 155 Mrd Kubikmeter fossiles Gas einsparen; dies entspricht der Menge, die 2021 aus Russland eingeführt wurde. Nahezu zwei Drittel dieser Verringerung könnten binnen eines Jahres erreicht werden, womit die übermäßige Abhängigkeit der EU von einem einzelnen Lieferanten beendet wäre.“
Höhere Gasreserven und grüner Energieboom
Bis April will die Kommission einen Gesetzgebungsvorschlag vorlegen, nach dem die unterirdischen Gasspeicher in der gesamten EU bis zum 1. Oktober eines Jahres zu mindestens 90 % ihres Fassungsvermögens gefüllt sein müssen. Der Vorschlag würde die Überwachung und Durchsetzung der Füllstände nach sich ziehen und die Möglichkeit von Solidaritätsvereinbarungen zwischen Mitgliedstaaten vorsehen.
„Durch die Sektorkopplung hat der Ersatz von fossilem Gas Auswirkungen auf die Attraktivität fast aller Technologien. Insbesondere der Ersatz für Gas in der Spitzenlastabdeckung bei der Stromversorgung wird entscheidend sein. Es geht hier also nicht um die Grundlast, wie sie durch Atomkraft oder Kohle bereitgestellt wird. Da bringt auch eine Verlängerung nichts. Vielmehr spielen hier Power-to-Gas, Wasserstoff und Biomethan auf der Versorgungsseite, aber auch SmartMeter und dezentrale Speicherlösungen auf der Nachfrageseite eine zentrale Rolle“, erklärt Kimmich gegenüber dem Börsen-Kurier, und ergänzt: „Natürlich wird auch die Wasserstoff-Forschung und -Entwicklung beschleunigt werden, grüne F&E Projekte sollten hier profitieren, entsprechende Fördermaßnahmen getroffen werden. Der mittel- und langfristig zu erwartende Preis von fossilem Gas, vor allem Flüssiggas, ist wohl der unmittelbare Gradmesser für die Konkurrenzfähigkeit von grünem Wasserstoff. Entsprechend attraktiv werden Investitionen in die Erzeugungskapazitäten, aber auch in der Wasserstoffnutzung.“
Rohstoffbeschaffung entscheidend
Durch neue Energien und grüne Mobilität entstehen neue Wertschöpfungsketten mit anderen Engpässen als heute. Umso wichtiger ist der Zugang zu den benötigten Grundstoffen. Dazu Kimmich: „Wir haben im Rahmen eines Forschungsprojektes zum Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz auch ein Szenario untersucht, in dem größere Investitionen in Wertschöpfungsketten in Österreich getätigt werden. Damit könnten Unterbrechungen von globalen Wertschöpfungsketten zumindest teilweise abgefedert werden. Die Rohstoffbeschaffung ist aber natürlich ein entscheidender Teil für das europäische Potenzial, beispielsweise der PV-Branche in Österreich, der hier limitierend wirkt.“
Technologische Souveränität in Europa hängt eben auch von den Ressourcen ab. Entscheidend für die Produktion werden also zunehmend auch die benötigten Ressourcen für erneuerbare Energien werden – und deren Herkunftsländer.
„Für den Ersatz von fossilem Gas spielt natürlich auch Biomethan eine Rolle. Die Einspeisung und Verstromung soll im Rahmen des EAG von 0,15 TWh auf 5TWh pro Jahr erhöht werden. Dabei wird nachhaltig erzeugte Biomasse entscheidend sein“, so Kimmich abschließend.
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