Hausgemachte Inflation kostet Kaufkraft
„Zwangssparen statt Bausparen“ könnte das Motto der aktuellen Inflationsperiode lauten.
Michael Kordovsky. Seit dem Ende der Finanzkrise 2008/09 bis ins Jahr 2020 hinein herrschte eine Langzeitperiode niedriger Inflationsraten, während sich die wachsende Geldmenge in Asset-Inflation in Form steigender Immobilienpreise, Aktien- und Anleihen-Kurse niederschlug. Die Consumer-Inflation blieb indessen niedrig, denn es herrschte ein Überangebot, zumal sogenannte „Zombiefirmen“, die eine Periode mit höheren Zinsen nicht überstanden hätten, infolge der niedrigen Anleihen-Renditen und Kreditzinsen gut überleben konnten.
Künstliche Warenverknappung
Erst Verordnungen zur Corona-Bekämpfung führten durch unterbrochene Lieferketten infolge geschlossener Betriebe und Häfen zu Lieferverzögerungen und Knappheiten. Kaum war dies bekannt, setzte am Markt der Mechanismus der Self-Fulfilling-Prophecy ein: Handel und Industrie begannen größere Lagerbestände kritischer Waren und Rohstoffe zu horten und bestimmte Produkte waren schnell ausverkauft – eine Entwicklung, die der Ukraine-Krieg noch verstärkte. Und so schlug plötzlich die expandierende Geldmenge in der Consumer-Inflation durch. Die höchsten Inflationsraten seit den frühen 1980er-Jahren waren die Folge. Die US-Inflationsrate erreichte im März mit 8,5 % den höchsten Stand seit Dezember 1981 und lag im April mit 8,3 % nur knapp darunter. Um 30,3 % be-sonders stark stieg die Energiepreiskomponente. Gebrauchte Autos und Trucks verteuerten sich um 22,7 % und Flugtarife um ein Drittel. Die Stundenlöhne im Privatsektor stiegen indessen nur um 5,5 %, weshalb die Lohn-Preis-Spirale noch nicht in Gang gesetzt wurde.
In Europa gestiegen sind primär die Energiepreise, die im HVPI mit 10,93 % gewichtet sind. Einem Plus von 44,3 % im März steht ein Plus von 37,5 % im April gegenüber. Unverarbeitete Lebensmittel verteuerten sich um 9,2 % und Tabak um 7,6 %. Die Kerninflation ohne Energie, Lebensmittel, Alkohol und Tabak läge nur bei 3,5 %. Der Inflationsbeitrag von Energie liegt bei 3,7 %-Punkten im Vergleich zu den Dienstleistungen mit 1,38 %-Punkten. Quer durch die EU weisen neun von 26 Mitgliedsstaaten Inflationsraten in zweistelliger Größenordnung auf. Die höchsten Inflationsraten weisen im April folgende Länder auf: Estland (19,1 %), Litauen (16,6 %), Tschechien (13,2 %), Lettland (13,1 %), Bulgarien (12,1 %), Rumänien (11,7 %), Polen (11,4 %), Niederlande (11,2 %) und Slowakei (10,9 %). Am niedrigsten sind die Inflationsraten noch in Malta und Frankreich (je 5,4 %) und Finnland mit 5,8 %.
Konsumrestriktion
Quer durch Europa wird dadurch Kaufkraft beschnitten, denn noch zu Jahresbeginn lagen in 13 EU-Staaten die Mindestlöhne unter 1.000 Euro und nur in sechs über 1.500 Euro, nämlich Frankreich, Deutschland, Belgien, Niederlande, Irland und Luxemburg. Somit ist auch nicht verwunderlich, dass sich das Absatzvolumen im Einzelhandel quer durch die EU von einem Plus von 5,6 % im Feber auf Plus 1,7 % im März reduzierte. Gleichzeitig brach das Absatzvolumen des Versand- und Internet-Einzelhandels im März auf Jahresbasis um 10,5 % ein, und selbst der Konsum von Nahrungsmitteln, Getränken und Tabakwaren war um 2,1 % rückläufig. Der letzte Zuwachs wurde hier im November 2021 (+0,7 %) verzeichnet. Es sieht also ganz so aus, als würde sich der Konsum auf das Allernotwendigste fokussieren. In den USA hingegen wuchsen im April die Einzelhandelsumsätze noch um 8,2 % (ex Autos sogar um 10,9 %), was auf einen im Vergleich zu Europa robusteren Arbeitsmarkt zurückzuführen ist.
Mit einer stärkeren Konjunkturabschwächung in Europa kann von dort ausgehend eine Preisdämpfung einsetzen. Voraussichtlich wird dies frühestens gegen Jahresende 2022 erkennbar.
Foto: Pixabay / Chronomarchie