Rosinenpicken in Europa
Dem Wirtschaftsabschwung mit selektiver Aktienauswahl begegnen.
Raja Korinek. An den globalen Aktienmärkten kommen der Inflationsanstieg sowie die allmähliche Zinswende nicht gut an. Hinzu belastet der Ukraine-Krieg insbesondere Europa, betont Zehrid Osmani, Senior Portfolio Manager des „European Unconstrained Fund“ (ISIN: IE00BGNBWQ13) von Martin Currie – ein Teil von Franklin Templeton. Damit verteuern sich die Kosten für Energie und weiterer Rohstoffe. Zuletzt klagten etwa europäische Hersteller von Windrädern über hohe Preise für Industriemetalle. Solche Produkte benötigen unter anderem jede Menge Kupfer und Nickel, wovon ein großer Teil bislang aus Russland geliefert wurde.
Obendrein lasten die Lockdowns in China auf den Lieferketten. Auch diesen Umstand bekommen zahlreiche Unternehmen in Europa zu spüren, etwa aus der Industrie. So klagen deutsche Automobilbauer über den mangelnden Nachschub an Halbleitern aus dem Reich der Mitte. Zudem zeigte jüngst eine Umfrage der Europäischen Handelskammer in China, dass die Lockdowns, die inzwischen 45 Städte umfassen, die Geschäfte zahlreicher europäischer Unternehmen vor Ort massiv einbrechen lassen.
Beim Bankhaus Spängler gibt man sich derzeit jedenfalls noch vorsichtig. Asset-Manager Markus Dürnberger verweist auf die aktuell grundsätzliche Untergewichtung von Aktien, „wobei regional der Fokus auf den etablierten Märkten liegt und die USA gegenüber Europa übergewichtet werden“. In letzterer Region dürfte das Gewinnwachstum der Unternehmen heuer sogar auf null sinken, befürchtet Martin-Currie-Experte Osmani.
Die aktuelle Ausgangslage ist für Europa damit denkbar schwierig, jedoch nicht aussichtslos. Ankit Gheedia, Leiter für Derivate und Aktienstrategien in Europa bei der BNP Paribas, meint, dass das negative Sentiment gegenüber europäischen Aktien allmählich zumindest den Boden gefunden haben könnte. Immerhin liegt das KGV für Aktien aus der Eurozone auf die kommenden zwölf Monate mit rund 13 unter jenem des MSCI All Country World Index, wo es zuletzt „nur“ auf rund 16 sank.
Chancen sollten Anleger in Europa dennoch selektiv nutzen, mahnt Osmani. Er achtet bei seiner Selektion etwa auf die regionalen Einnahmen eines Unternehmens sowie in diesem Zusammenhang auf das Exposure in Russland. Und auf die Preissetzungsmacht eines Unternehmens im aktuell inflationären Umfeld. Solch eine Eigenschaft treffe laut Osmani etwa auf die Kingspan Group (IE0004927939), einen irischen Dämmstoffhersteller, zu. Das Unternehmen habe steigende Materialkosten an Kunden gut weitergeben können. Grund sind freilich die weltweiten Bestrebungen, CO2-Ausstoße zu reduzieren, zu denen unter anderem entsprechend auch Gebäudesanierungen zählen.
Osmani zufolge habe auch die schwedische Assa Abloy (SE0007100581) eine gute Preissetzungsmacht, wobei der Marktexperte weitere Preisumwälzungen auf Kunden erwartet. Der Konzern stellt unter anderem Schließsysteme und Sicherheitstüren her.
Ebenso im Fondsfokus steht die niederländische ASML (NL0010273215), größter Anbieter von Lithographiesystemen für die Halbleiterindustrie. Der Titel gefällt auch Alexander Farman-Farmaian, Partner bei Edgewood Management. ASML sei nach dem extremen Abverkauf wieder interessant, zumal jüngst große Chiphersteller den Bau neuer Produktionsfabriken angekündigt haben. Und dafür die Produkte von ASML benötigen, sagt er.
Foto: AdobeStock / Frenta