Mikrofinanz zeigt sich krisenresistent

Die Entwicklungsgenossenschaft Oikocredit blickt auf ein respektables Ergebnis zurück.

Lea Schweinegger. Trotz der Pandemie bleibt die Nachfrage für faire Kleinstkredite und Finanzierungen von landwirtschaftlichen Genossenschaften im globalen Süden stabil. Wie es scheint, sind die so-genannten „Dorfökonomien“ resilienter gegen Verwerfungen auf den internationalen Finanzmärkten als die Indizes der großen Börsenplätze. Oikocredit ist einer der weltweit größten „Social-Impact“-Investoren mit einem Schwerpunkt auf nachhaltige soziale Entwicklung mittels Mikrokrediten. Mehr als 55.000 Investoren stellen dafür mehr als 1 Mrd Euro zur Verfügung.

Sie erhalten neben einer „Sozial-Rendite“ (Gutes tun, Anm.) auch eine Finanz-Rendite, die sich in den 45 Vor-Pandemie-Jahren in einer Dividende von zumeist 2 % zeigte. Derzeit beträgt die Dividende 0,5 %.

Ein Gutteil der Arbeit der im Jahr 1975 gegründeten Genossenschaft wird vom ehrenamtlichen Engagement getragen. Im Börsen-Kurier nimmt der Vorsitzende des österreichischen Förderkreises Oikocredit sowie Gründer von Mindful Finance, Friedhelm Boschert (Foto), zu aktuellen Fragen Stellung.

Börsen-Kurier: Pandemie, Krieg, Klimawandel – wir leben in bedrückenden Zeiten. Wie hat diese Gemengelage die Situation der Partner, die Kreditnehmer in aller Welt, verändert? Friedhelm Boschert: Schon vor zwei Jahren hatten sich die weltweiten Lockdowns auch in einem temporären Stillstand der Kleinstunternehmer-Aktivitäten niedergeschlagen. Die Bauern schafften es häufig nicht mehr, die Produkte auf die Märkte zu bringen. Doch die Flexibilität in den Ländern des globalen Südens führte zu einer deutlich schnelleren Anpassung an die geänderte Situation. Heute sieht man mit Sorge auf die hohen Nahrungsmittelpreise, die in erster Linie die Ärmsten der Armen besonders treffen. Hier kann der Staat nur begrenzt einspringen und die Partner der Oikocredit sind in besonderem Maße gefordert, Belastungen abzumildern, z. B. durch Stundung von Kreditraten, aber auch dadurch, neue Einkommensquellen durch Anbau von Nahrungsmitteln zu erschließen.

Börsen-Kurier: Wie schwer ist es aktuell, Projekte und Finanzierungen durchzuführen?
Boschert: Nachdem viele Jahre lang die Zielgruppe der Oikocredit, die Armen mit einem Einkommen von weniger als 2 USD pro Tag, erfreulicherweise geschrumpft ist, beobachten wir seit einiger Zeit, beschleunigt durch die Pandemie, wieder ein deutliches Ansteigen der Armut im globalen Süden. Der Bedarf für Projekte und Finanzierungen ist also nach wie vor sehr hoch und steigt. Allerdings muss die Oikocredit als Verantwortlicher Investor auch die Risikoseite im Auge haben. Und hier sind die Risiken – allen voran die Risiken aus dem Klimawandel – weltweit klar gestiegen, sodass eine besondere Sorgfalt bei der Auswahl der Projekte und Partner gefordert ist.

Börsen-Kurier: Wo liegen die geographischen Schwerpunkte? Und können Sie sich vorstellen, auch in einer Nachkriegs-Ukraine verstärkt aktiv zu sein?
Boschert: Die geographischen Schwerpunkte liegen nach wie vor in Südamerika (46 % aller Finanzierungen, gefolgt von Asien (32 % aller Finanzierungen) und Afrika (19 %). Aus Zentral- und Osteuropa hat sich die Oikocredit schon vor Jahren zurückgezogen, um sich besser auf die Armutsbekämpfung im globalen Süden konzentrieren zu können. Im Sinne einer Arbeitsteilung werden andere Partner wie die Weltbank oder Entwicklungshilfe-Agenturen den Wiederaufbau in der Ukraine begleiten.

Börsen-Kurier: Auf der anderen Seite stehen die Anleger. Welches Feedback gibt es von dieser Seite? Bei einem Investment in Oikocredit steht der reine Blick auf die Rendite ja nicht im Vordergrund.
Boschert: Doch, der Blick auf die Rendite bleibt zunächst mal der Gleiche. Jedoch verstehen wir und unsere Anleger die Rendite als aus zwei Teilen bestehend. Die Finanzrendite, die sich in der Dividende niederschlägt. Die betrug die längste Zeit der Oikocredit-Aktivitäten 2 %, wird jedoch aufgrund der Risikovorsorge derzeit bei 0,5 % gehalten. Auf der anderen Seite steht die Sozial-Rendite, die nicht in einer einzigen Zahl beziffert werden kann. Dafür veröffentlicht die Oikocredit jährlich ihren „Wirkungs-Report“, in dem die Wirkungen ihrer Finanzierungen und Projekte sehr genau erfasst und beschrieben werden. Damit für den Investor klar ist, wie sein Geld wirkt.

Börsen-Kurier: Sie haben auch die Organisation Mindful Finance gegründet, inwieweit dämpfen die äußeren Umstände wie Krieg, Inflation usw. die Ambition der Menschen, in Sachen Geldanlagen Nachhaltigkeit walten zu lassen? Oder anders gefragt: Tendieren Menschen in unsicheren Zeiten nicht eher dazu, in Finanzangelegenheiten zurückhaltend zu reagieren bzw. Altbewährtes (Gold oder Immobilien) und Sicherheit Versprechendes vorzuziehen?
Boschert: Mindful Finance bedeuted zunächst, bei Finanzentscheidungen „achtsam“ zu sein. Das ist überhaupt nicht das Gleiche wie „vorsichtig“. Sondern soll heißen, dass wir immer stärker nach der letztendlichen Wirkung unserer Geldentscheidungen fragen müssen: Was bewirkt meine Geldentscheidung letzten Endes? Kinderarbeit oder Bildung? Waldvernichtung oder Klimaschutz? Wir müssen lernen, von der Wirkung her zu denken. Und alle Studien zeigen, dass wirklich nachhaltige Investments auch in finanzieller Hinsicht die bessere Rendite haben. Eben weil die Unternehmen und Projekte besser gemanagt werden und zumeist in Zukunftsbereichen investiert wird.

Börsen-Kurier: Und abschließend: Was haben Oikocredit-Investoren angesichts der hohen Inflation einerseits und wieder steigender Zinsen andererseits in der näheren Zukunft zu erwarten?
Boschert: Die Rahmenbedingungen an den Finanzmärkten verändern sich gerade fundamental. Im Sinne der Nachhaltigkeit ist das durchaus zu begrüßen, wenn durch die Zinssteigerungen etwa der Immobilien-Wahnsinn und die damit verbundene Naturzerstörung ihr Ende finden. Auf der anderen Seite forciert die Politik mit Nachdruck, dass Finanzmittel in nachhaltige Projekte fließen sollen. „Sustainable Finance“ ist der Oberbegriff dafür und das, was wir in der Oikocredit leisten, fällt bereits seit Langem in diese Kategorie: Geld für die nachhaltige Entwicklung von Menschen und Planeten einzusetzen.

Foto: Katharina Schiffl