Rekordjahr ohne Besucherrekord

Vorbildlich: Die Voestalpine hielt wieder eine Präsenz-HV ab.

Wie immer pilgerten die Anteilseigner des Stahlherstellers ins Linzer Design Center zum „Hochamt des Aktionariats“, wie es Rupert-Heinrich Staller in seiner Wortmeldung später ausdrückte. Auffallend war, dass im Vergleich zu Vor-Corona-Zeiten nur wenige Aktionäre erschienen waren, es stellte sich heraus, dass allein IVA-Chef Florian Beckermann von den „präsenten“ 2.221 Aktionären rund 1.500 vertrat, sodass man von einer tatsächlichen Präsenz von 600 bis 700 ausgehen kann. Bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass noch 2018 und 2019 das Design Center praktisch voll war.

In seiner Eröffnungsrede bedankte sich der neue Aufsichtsratsvorsitzende Wolfgang Eder bei seinem Vorgänger Joachim Lemppenau für dessen langjährige Tätigkeit, wonach CEO Herbert Eibensteiner sein Resümee über das abgelaufene Geschäftsjahr zog. „Es war durchaus herausfordernd, aber wir konnten ein All-time-high bei Umsatz, Ergebnis und Eigenkapital erzielen“, zeigte er sich zufrieden. Schon im August hätten sich die ersten Lieferprobleme bei der Autoindustrie ergeben, im Herbst begannen dann auch die Preise anzuziehen. In den USA sei das Umfeld durch die hohe Inflation getrübt, in Europa hat der Ukraine-Krieg die Erholung gestoppt.

„Lieferstopp wäre fatal“
Apropos Ukraine: „Wir sind zutiefst betroffen von den Ereignissen“, betonte Eibensteiner. „Wir versuchen vor Ort zu helfen.“ Die Mitarbeiter habe man in Sicherheit gebracht, viele waren es aber ohnehin nicht. Der Umsatzanteil sei mit insgesamt 0,4 % nicht relevant, die Kohle wird jetzt aus anderen Quellen als aus Russland bezogen. Ein Gaslieferstopp wäre für das Unternehmen fatal, „aber wir speichern selbst Gas und haben genügend für drei Monate Vollbetrieb“, so Eibensteiner.

Die Entwicklung der einzelnen Divisionen war gut, vor allem bei Stahl sind sowohl die Nachfrage als auch die Preise gestiegen. In Texas hat man 80 % der HBI-Produktion („Hot Briquetted Iron“, Eisenbarren, Anm.) an ArcelorMittal verkauft, mit den restlichen 20 % sieht sich Eibensteiner gut für die Zukunft versorgt. Bei der „High Performance Metals“-Division war die Marktentwicklung gut, lediglich in China kam es im vierten Quartal zu einer Abschwächung. Das Edelstahlwerk in Kapfenberg ist fertig und wird diesen Sommer in Betrieb genommen. „Hier werden 205.000 Tonnen Spezialstähle pro Jahr hergestellt und wir sichern damit 3.000 Arbeitsplätze“, erklärte der CEO.

Bei „Metal Engineering“ ist ebenfalls eine positive Entwicklung zu vermerken, besonders im Bereich Schweißtechnik hat man sich als Gesamtanbieter etabliert. In Donawitz wurden Pilotanlagen zur Herstellung von CO2-neutralem Stahl („greentec steel“) in Betrieb genommen. Die Division „Metal Forming“ konnte einen Rekord bei allen Kennzahlen aufstellen, weil die Nachfrage in fast allen Bereichen ausgezeichnet war. Hier schwächelte nur die Automobilindustrie aufgrund der bekannten Lieferproblematik.

Ein Plädoyer für die Präsenz-HV
Die Generaldebatte wurde von Staller eröffnet, der ein leidenschaftliches Plädoyer für die Präsenz-HV hielt und nicht mit Kritik an verschiedenen Institutionen sparte, die für die Beibehaltung der virtuellen HV lobbyieren. „Es gibt etliche, die gar nicht wollen, dass wir hier sind“, wetterte er. „Das wäre der Missbrauch einer Notlösung als Dauerlösung!“ Er wollte wissen, wie die Voestalpine dazu steht und warum man nicht gleich einen Beschluss pro Präsenz-HV anstrebe. Eibensteiner erklärte, man habe die vergangenen zwei Jahre nach den Maßgaben des Gesetzes gehandelt und wolle dies auch weiterhin tun.

Staller bedankte sich auch bei Lemppenau, den er „vermissen wird“ und wollte wissen, ob man nicht andenke, die AR-Besetzung und -Wahl anders zu gestalten. „Die Blockwahl von acht Kapitalvertretern ist unerträglich“, meinte er. Eder stimmte grundsätzlich zu, bat aber um Geduld, er sei erst drei Monate im Amt – „und da kann ich noch nicht viel machen!“

Für Heiterkeit im Publikum sorgte die Antwort auf Stallers Frage, wann es endlich eine langfristige Strategie gebe: „Wenn wir endlich etwas Konkretes von der EU und der Regierung haben“, so Eibensteiner trocken.

IVA-Mann Beckermann brach ebenfalls eine Lanze für die persönliche Anwesenheit bei Hauptversammlungen und wollte wissen, was man von den Diskussionen um die Abschöpfung von Zufallsgewinnen halte. Diese schade massiv dem Kapitalmarkt und stehe im Gegensatz zum Regierungsprogramm, so Eibensteiner. „Das ist ein Tiefschlag für den österreichischen Kapitalmarkt“, ergänzte Eder. „Die gesetzlichen Bestimmungen sollten ausreichen, sonst wird die Gefahr von politischer Willkür viel zu groß.“

Publikumsschwund
Nach diesen beiden Rednern begann das Publikum abzuschmelzen, immer mehr Aktionäre verließen den Saal und eilten ans Buffet. Dass die meisten nicht wiederkommen sollten, war ungewöhnlich – anscheinend hat die zweijährige HV-Pause dem Sitzfleisch der Anteilseigner geschadet.

So waren bei den Abstimmungen nur mehr rund 300 Aktionäre zugegen, was der hohen Stimmenanzahl aber keinen Abbruch tat. Die Abstimmungen verliefen mit großen Mehrheiten, lediglich mit dem Vergütungsbericht zeigten sich 12 % nicht einverstanden.

Foto: Voestalpine AG