Wie schlimm wird Europas Energiekrise?

Die Politik greift zunehmend in den Energiemarkt ein. Das sollten Anleger im Auge behalten.

Raja Korinek. Die Energiekrise zieht in Europa immer weitere Kreise. Russland liefert kein Gas mehr durch die Pipeline Nord Stream 1, eine Entscheidung, die mit technischen Problemen aufgrund der Sanktionen begründet wird. Die Entwicklungen lassen auch den Gaspreis in Europa verrücktspielen. Ende August schnellte der Preis zwischenzeitlich auf mehr als 330 Euro pro Megawattstunde.

Im Rahmen eines Vortrages zu „Europas Energiekrise: Was sind die Alternativen“ von J.P. Morgan Asset Management, gingen Experten auf aktuelle Entwicklungen ein. Der Börsen-Kurier war dabei.

Russische Gasimporte sinken
US-Aktienanalyst David Maccarrone verwies auf die rückläufigen Importe von russischem Gas nach Europa auf nur mehr 17 % aller Gaslieferungen. Im Vorjahr waren es noch 35 %. Angesichts der jüngsten Preissprünge lohne sich inzwischen der Kauf von Flüssiggas (LNG oder Liquified Natural Gas) als Alternative. Bestrebungen gibt es reichlich, etwa in Deutschland, wo die Industrie jede Menge Gas benötigt. So hat die deutsche Bundesregierung fünf LNG-Importterminals gemietet.

Maccarrone mahnt aber auch vor dem steigenden Wettbewerb um LNG. „Derzeit werden rund 70 % am Weltmarkt nach Asien verkauft.“ Es werde ein Buhlen um LNG geben. Er sieht deshalb auch die Einsparungen beim Gasverbrauch in Europas Industrien positiv. Und hofft, dass sich private Haushalte dem anschließen. Denn die aktuellen Füllstände böten kaum ausreichenden Puffer im Falle eines sehr kalten Winters. In Österreich lag der Füllstand der Erdgasspeicher per Anfang September bei knapp 70 % der möglichen Gesamtkapazität.

Öl als Alternative wiederentdeckt
Obendrein wird in Europa teils auch von Gas auf Öl umgestiegen. „Solch ein Schritt ist nicht besonders nachhaltig, hilft aber, im kommenden Winter menschliches Leid möglichst zu lindern.“ Zugleich werde der Ausbau erneuerbarer Energien stärker forciert werden. Doch solche Projekte brauchen mehrere Jahre Vorlaufzeit, da behördliche Genehmigungen dauern, ergänzt der Analyst.

Fred Barasi, er ist ebenfalls Analyst bei J.P. Morgan Asset Management, verweist zudem auf die stark gestiegenen Strompreise. Das rufe die Politik zunehmend auf den Plan, wenn auch viele Versorger nicht in vollem Ausmaß von den hohen Preisen profitieren. „In der Regel sichern sich Stromkonzerne die Preise für ihre Produktion auf rund zwei Jahre ab“, mahnt Barasi vor übereilten Handlungen.

Politische Eingriffe nehmen zu
Nichtsdestoweniger geht es Schlag auf Schlag: In Österreich wurde vorige Woche der Strompreisdeckel für Privathaushalte vorgestellt. Für einen Verbrauch von bis zu 2.900 Kilowattstunden (kWh) müssen nur 10 Cent pro kWh bezahlt werden. Die Europäische Kommission plant zudem eine Obergrenze für die Gewinnmargen von Unternehmen, die Strom günstig produzieren. Einzelne Mitgliedsländer haben sie bereits eingeführt.

Gemeint sind etwa Produzenten erneuerbarer Energien, die Strom zu günstigeren Preisen herstellen als jene Energiekonzerne, die teures Gas für die Verstromung brauchen.

Dennoch lukrieren die günstigen Produzenten den teuersten Strompreis, das soll sich ändern. Für Öl- und Gasunternehmen will die EU zudem einen Solidaritätsbeitrag vorschlagen, da sie gerade kräftige Gewinne einfahren.

Für Energie- und Versorgerkonzerne könnte das Umfeld angesichts von Preisdeckeln und Abgaben rauer werden. Anleger werden auch die wachsenden politischen Einflüsse berücksichtigen müssen.

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