Die KI, der vierte Produktionsfaktor

Digitalisierte Wirtschaftswelt zwischen Effizienzvorteil und „himmelschreiendem Unsinn“.

Emanuel Lampert. Schöne neue digitale Welt? Die Digitalisierung wird Klein- und Mittelunternehmen nicht unberührt lassen, sagt Gudrun Strahner-Weiss. Für komplexe Geschäftsfälle werde es dennoch beim persönlichen Kontakt bleiben, so die Leiterin des Corporate Bankings bei der Steiermärkischen Sparkasse bei einer Diskussionsrunde anlässlich 100 Jahren Börsen-Kurier.

Bernhard Wenger, Head of Northern Europe bei der 21Shares AG, glaubt an Effizienz- und Kostenvorteile für KMUs durch digitale Ökosysteme, speziell im Vertrieb. Herwig Teufelsdorfer, CEO der S Immo AG, gibt zu bedenken: „Plattform heißt für den Kunden immer bis zu einem gewissen Grad Abhängigkeit.“

„Reales“ Geschäft werde es auch in einer digitaleren Zukunft geben, der Mensch sei schließlich ein soziales Wesen. Teufelsdorfer: „Das eine ist die Technologie, das andere ist, wie sie angewendet wird.“ Er sagt aber auch: „Es wird sich einiges ändern, wir werden umdenken müssen.“

Wo bleibt der Mensch?
Welchen Stellenwert hat der Mensch in einer digitalisierten Wirtschaftswelt, gibt es auch Verlierer? Wenger fürchtet, dass Letzteres zu bejahen ist, meint aber auch, dass man mit Offenheit für neue Entwicklungen gegensteuern kann. Auch das Internet sei eine Revolution gewesen, „und jetzt machen alle ihre Bankgeschäfte am Handy“.

Helmut Fallmann, Vorstandschef der Fabasoft AG, bezeichnet „künstliche Intelligenz“ als neuen, vierten Produktionsfaktor. Von einer „Verschmelzung von Mensch und Maschine“ will er aber nichts wissen. „Ich halte das für einen himmelschreienden Unsinn.“ Die Letztentscheidung müsse immer beim Menschen liegen.

Teufelsdorfer glaubt, die Digitalisierung werde dazu führen, dass sich jeder seinen Fähigkeiten entsprechend einbringen kann: Sie helfe dabei, „dass wir unser Wissen und unsere Fähigkeiten viel gezielter einsetzen können und uns nicht mit Tätigkeiten aufhalten, die zeitaufwendig sind, aber zum Ergebnis relativ wenig beitragen“.

Investieren in „Digital“
Wo liegen für Anleger Chancen und Risiken in der Digitalisierung? Fallmann prognostiziert, dass die Welt des Shareholder Value aussterben wird. „Überleben werden nur die Unternehmen, die das Thema Stakeholder Value tatsächlich leben“, also glaubwürdig im Sinne von Gesellschaft, Umwelt und Governance handeln.

Strahner-Weiss rechnet mit neuen Risiken, aber auch neuen Zielgruppen, Märkten und Produkten. Sie rät, nicht auf der Suche nach dem „next big thing“ überhastete Investmententscheidungen zu treffen, sondern dem Grundgedanken des eigenen Investments treu zu bleiben.

Es gebe tausende digitale Assets und Kryptowährungen, sagt Wenger, als „investierbar“ erachte 21Shares aber nur einen Bruchteil davon. Wichtig sei deshalb zweierlei: Finanzbildung, auf dass der Investor das Marktrisiko verstehe, und die Möglichkeit, sein Investment in einem sicheren, regulierten Umfeld tätigen zu können.

Digital- oder Betongold: Wo gibt es mehr Chancen, wo mehr Risiken? Die Zeiten des Betongoldes „in dem Sinne, dass der Markt für uns das Beton golden gemacht hat“, seien wohl vorbei, sagt Teufelsdorfer. „Das Produkt muss völlig neu gedacht werden.“ In der Architektur werde man „völlig andere Lösungen sehen“.

Eine andere Welt
Ist die Welt durch die Digitalisierung sicherer oder gefährlicher geworden? Sie ist anders geworden, antwortet Wenger. Was früher der Bankräuber war, sei jetzt der Cyberkriminelle. Dafür sei als Reaktion darauf die Cybersicherheitsbranche entstanden.

Auf ein neues Produkt verweist Strahner-Weiss: die Cyberversicherung, die im Notfall auch mit Sofortmaßnahmen unterstützt. Zu den neueren Erscheinungen gehört auch die „Cloud“, ein Konzept, das in Europa missverstanden wird, wie Fallmann meint. „Wir betrachten momentan im Zuge der Kriegswirren nur die analoge Autonomie und denken nicht über die digitale Autonomie nach.“

Diskutierten in der Wiener Börse unter der Leitung von Börsen-Kurier-Herausgeber
Marius Perger (v.l.): Bernhard Wenger von 21Shares, Gudrun Strahner-Weiss von der Steiermärkischen Sparkasse, Herwig Teufelsdorfer, der neue CEO der S Immo, sowie Helmut Fallmann, CEO von Fabasoft.

Einen ausführlicheren Bericht zu diesem Round Table lesen Sie Anfang November in unserem kostenlosen Magazin anlässlich des Jubiläums „100 Jahre Börsen-Kurier“.

Fotos: Börsen-Kurier/Richard Tanzer