Droht eine weitere Teuerungswelle?

Nach rückläufigen Inflationsraten könnte es schlagartig mit der Entspannung wieder vorbei sein.

Michael Kordovsky. Dass vergangene Hochinflationsphasen durch- aus über mehrere Jahre anhalten können, hat die Geschichte gezeigt. Derzeit herrscht in der Einschätzung der weiteren Inflationsentwicklung ein Streit zwischen empirischen Betrachtern und Analysten, die im Kontext des aktuellen Wirtschaftsabschwungs von niedrigeren Inflationsraten und in der Folge von einem baldigen Ende der Leitzinsanhebungen der US-Notenbank (Fed) und der Europäischen Zentralbank (EZB) ausgehen. Was erscheint realistisch?

Zumindest kurzfristige Entspannung
Diesbezüglich geben aktuelle Inflationsdaten Auskunft: Fakt ist beispielsweise, dass die Inflationsrate in den USA im Juni mit 9,1 % ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht hat und bis Oktober wieder kontinuierlich bis auf 7,7 % zurückgegangen ist. Das war die niedrigste Jahresteuerung seit Jänner des heurigen Jahres. Die Kerninflationsrate ohne die volatilen Komponenten Nahrungsmittel und Energie ging von September auf Oktober von 6,6 auf 6,3 % zurück, nachdem sie im September ein 40-Jahres-Hoch erreicht hatte.

Energie- und Nahrungsmittelpreise waren vor wenigen Monaten noch besonders stark im Aufwind. Erdöl- und Erdgas-Preise waren zuletzt allerdings wieder rückläufig, was eine Entspannung der Headline-Inflation bewirkt, und zwar sowohl in den USA als auch in Europa.

Laut Schnellschätzung von Eurostat ging nämlich im November im Euroraum die Jahresteuerung von 10,6 auf 10 % zurück. Das ist der erste Rückgang seit Juni 2021 (damals von 2,0 auf 1,9 %). Am höchsten ist die Teuerung noch im Baltikum: Lettland verzeichnete 21,7 %, Estland und Litauen je 21,4 %. Höhere Energie- und Lebensmittelpreise belasten.

Hingegen weisen Spanien und Frankreich mit 6,6 bzw. 7,1 % die niedrigsten Inflationsraten im Euroraum auf. Vor allem in Frankreich herrschen bereits jetzt soziale Spannungen. Nun könnte sich die Situation zumindest zwischenzeitlich entspannen. Der Preisauftrieb der bisherigen Preistreiber Energie und unverarbeitete Lebensmittel hat sich gemäßigt. Der Anstieg der im HVPI der Eurozone mit 10,93 % gewichteten Energiepreiskomponente ging von 41,5 % im Oktober auf 34,9 % im November zurück und der Preisanstieg bei unverarbeiteten Lebensmitteln ermäßigte sich von 15,5 auf 13,8 %.

Hingegen verharrte die Kerninflation (HVPI ohne Energie, Lebensmittel, Alkohol und Tabak) auf einem Hochpunkt von 5 % (November 21: 2,6 %), zumal zu-letzt die Preise für Industriegüter ohne Energie anzogen und in den Monaten Oktober und November jeweils um 6,1 % anstiegen. Ein Faktor sind dabei die Lohnkosten, deren stärkerer Anstieg infolge höherer Lohnrunden vor allem ab Jänner ihre Wirkung zeigen wird. Zwischenzeitlich für Entspannung sorgen die Erdölpreise: Brent-Öl ist auf Monatsbasis um 17 % gefallen (per 8.12.) und der Dieselpreis um 21 %, was auf Konjunkturschwäche hindeutet, denn aus China war wegen der Null-Covid-Politik mit keinem Nachfrageschub zu rechnen. Somit hat sich in der Industrie des Euroraums der Preisanstieg von September auf Oktober von 41,9 auf 30,8 % beruhigt. Ohne Energie lag das Plus im Oktober bei 14 % (September 14,5 %).

Erneute Inflationswelle?
Doch das ist bereits Vergangenheit. Die Industriemetallpreise explodieren gerade in Vorwegnahme einer Öffnung Chinas, das auf Druck von Massenprotesten nun die Corona-Politik auflockert. Mit einer kompletten Öffnung wird allgemein für das zweite oder dritte Quartal 2023 gerechnet. Dies sollte der Nachfrage nach Industriemetallen, insbesondere nach Nickel, das in der Batterieherstellung gebraucht wird, einen Schub verleihen. Binnen eines Monats sind die Preise für Zinn und Nickel bereits um 23,5 bzw. 28,7 % gestiegen (per 8.12.). Somit könnte die Entspannung an der Inflationsfront nach wenigen Monaten wieder vorbei sein.

Sollte darüber hinaus eine schnelle Lohn-Preis-Spirale in Gang gesetzt werden, ist ohnehin eine erneute stärkere Teuerungswelle vorprogrammiert. Das würde als Begleiterscheinung auch eine längere und stärkere Leitzins-Anhebungsreihe bedeuten, als ursprünglich erwartet wurde. Lediglich eine sehr strenge Rezession könnte dem noch Einhalt gebieten.

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