Großer Durchbruch für die Alzheimerbehandlung

Ein Kommentar von Christian Lach und Lukas Leu, Portfolio Manager des Bellevue Biotech (Lux) Fonds.

Red. Für Alzheimerpatienten ist die Entscheidung der FDA vom 6. Jänner eine erste Schlüsseletappe. Das zuständige Fachgremium der US-Behörde hat sich für die vorläufige Zulassung des Antikörpers Lecanemab ausgesprochen, der unter dem Markennamen Leqembi verkauft wird. Der Zulassungsantrag für Europa ist innerhalb der nächsten Monate zu erwarten. Der von Eisai und BioArctic in Zusammenarbeit mit Biogen entwickelte Antikörper ist nach einer Reihe von klinischen Fehlschlägen ähnlicher Antikörper das erste Medikament, welches den Krankheitsverlauf nachweislich in einer Phase-3-Studie signifikant beeinflusste. Lecanemab beseitigt Amyloid-Beta-Plaques im Gehirn. Diese Eiweißablagerungen gelten als eine der Hauptursachen für das Entstehen und Fortschreiten von Alzheimer. In den zulassungsrelevanten klinischen Studien mit 1.795 Patienten zeigte Lecanemab, dass sich nach der 18-monatigen Testphase der Abbau der kognitiven Fähigkeiten gegenüber der Placebogruppe um 27 % verlangsamte.

Full Approval Ende 2023
Bei der Zulassungsentscheidung handelt es sich um einen Accelerated Approval. Dabei geht es um eine Zulassung, bei der sich die US-Gesundheitsbehörde FDA auf einen Ersatzendpunkt verlässt. Dieses sogenannte „Surrogat“ besitzt selbst keine klinische Relevanz, soll aber den klinischen Nutzen des Medikamentes vorhersagen können, so wie die Fieberkurve bei einer Grippe. Erst nach verbesserter Datenlage erteilt die FDA zu einem späteren Zeitpunkt die uneingeschränkte Zulassung (Full Approval). Der Full Approval ist im Fall der Alzheimerarzneien auch die Voraussetzung dafür, dass die Krankenversicherungen die vollständige Kostenerstattung für die Behandlung der Patienten übernehmen. Die Entscheidung dafür trifft die US-Organisation Centers for Medicare and Medicaid Services (CMS). Aktuell wird erwartet, dass ein Full Approval von Lecanemab für den US-Markt erst Ende 2023 erfolgt.

Ebenfalls noch heuer wird Eli Lilly seine Studienergebnisse für den Amyloid-Beta-Antikörper Donanemab präsentieren. Die Phase-3-Daten sollen bis Mitte 2023 vorliegen. Ein großer zeitlicher Nachteil wird sich für Eli Lilly nicht ergeben, weil die FDA seit 2021 für Donanemab den rollierenden Antrag auf Zulassung (Rolling Submission) anwendet. Dabei werden die für das Zulassungsverfahren relevanten klinischen Daten zeitnah in einzelnen Datenpaketen eingereicht und nicht wie in herkömmlichen Verfahren am Ende der Studien in einem Gesamtdokument. Nach den bislang verfügbaren Informationen soll Donanemab die Amyloid-Beta-Plaques schneller und besser abbauen als Lecanemab. Bei der höchsten verwendeten Dosierung wurden die Eiweißablagerungen zu 93 % abgebaut. Eine wichtige Differenzierung der beiden Antikörper nebst der Wirksamkeit wird das Nebenwirkungsprofil sein. Bestätigen sich die bisherigen Daten, sollte auch Donanemab die beschleunigte Zulassung 2023 erhalten.

Definitiv aus dem Rennen ist Gantenerumab, der von Roche entwickelte Antikörper, nach den enttäuschenden Ergebnissen aus zwei klinischen Studien. Der Abbau der kognitiven Leistungen wurde nicht signifikant verlangsamt und auch der Abbau der Beta-Amyloide fiel geringer aus als erwartet. Darüber hinaus waren die Nebenwirkungen wie Ödeme und Blutungen im Gehirn stärker ausgeprägt als bei Donanemab und Lecanemab.

Mehrere Szenarien
Für die Umsatz- und Gewinnentwicklung von Eisai und Eli Lilly in diesem Jahr werden die beiden Alzheimerarzneien noch keine Rolle spielen. In welcher Größenordnung sich die Spitzenumsätze bewegen werden, hängt vor allem davon ab, in welchem Umfang die Versicherer die Behandlungskosten übernehmen werden und für welche Patientengruppen das Medikament eingesetzt wird. Während konservative Schätzungen von Milliardeneinnahmen im höheren einstelligen Bereich ausgehen, erwarten optimistische Szenarien Spitzenumsätze von 15 bis 20 MtdUSD. Wegen des hohen medizinischen Bedarfs ist die Preissetzungsmacht bei beiden Produkten groß. Eisai will Leqembi für 26.500 USD für die jährliche Behandlung verkaufen. Bei Eli Lilly ist davon auszugehen, dass Donanemab mit einem ähnlichen Preisschild auf den Markt kommen wird.

Neue Therapien
Hinter den beiden Protagonisten füllen neue Generationen von Alzheimertherapien langsam die klinischen Pipelines. Noch fokussieren die meisten Produkte auf Amyloid-Beta-Plaques und Tau-Fibrillen. Neben Pharmakonzernen sind primär einzelne Biotechs tätig, die auch in unseren Fondsportfolios enthalten sind. Dazu zählt die schwedische Firma BioArctic, die Lecanemab entwickelte und auslizenzierte. Alnylam und Ionis wiederum haben Programme im frühen Entwicklungsstadium, die auf das Amyloid-Precursor-Protein (APP) respektive Tau-Protein abzielen. Dabei greifen sie auf ihre selbstentwickelten RNA-Verfahren zurück, welche die für die Produktion des krankheitsauslösenden Proteins verantwortlichen Gensequenzen regulieren.

Ein neuer Ansatzpunkt für die Alzheimerforschung sind die beiden Gene ApoE4 und TREM2. Die Träger der ApoE4-Gens entwickeln über veränderte Proteine teilweise in Nervenzellen Fettablagerungen, die das Absterben von Nervenzellen begünstigen. Ebenfalls noch im Forschungsstadium sind Projekte, welche Plaques als Teil einer Immunantwort des Gehirns auf bakterielle Infektionen untersuchen. Untersucht werden auch Entzündungskomponenten, synaptische Aktivitäten der Nervenzellen und die Auswirkungen des Stoffwechsels auf die Entstehung von Alzheimer. Bei der Identifizierung von neuen Genmarkern für die Alzheimer-Diagnose werden Verfahren erprobt, die auf der Basis von maschinellem Lernen und Künstlicher Intelligenz arbeiten.

Angesichts der demografischen Entwicklung können Anleger in Zukunft am Durchbruch neuer Therapien und Diagnostika profitieren. Bis 2050, so eine aktuelle Schätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO), sollen 139 Mio Menschen weltweit an Demenz leiden, davon rund 70 % an Alzheimer. Nach Jahrzehnten mit Fehlschlägen führt die Aufbruchstimmung nun zu einer Wiederentdeckung des Gebiets.

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