Mailand ringt London die Finanzelite ab
Die norditalienische Metropole etabliert sich als europäisches Finanzzentrum.
Roman Steinbauer. Laut Erhebungen der European Banking Authority (EBA) führt die Abwanderung hochbezahlter Angestellter der Londoner Bankenbranche zu einer Konzentration in anderen EU-Finanzmetropolen.
So soll 2022 der Rekordwert von 1.957 Mitarbeitern im gesamten EU-Raum erreicht worden sein, die in dieser Berufsgattung ein jährliches Einkommen von mehr als 1 Mio Euro bezog.
Nachzug vieler Investmentbanken
Nach Angaben der Nachrichtenagentur Bloomberg entpuppt sich durch den Zuzug des Finanzsektors vor allem das innovative Luxussegment der Wohnimmobilien in Mailand als Profiteur. Repatriierten nach dem Brexit zuerst die Mediobanca und UniCredit deren Mitarbeiter, lenkten unterdessen bereits internationale Mitbewerber wie Goldman Sachs, Andera Partners oder Eisler Capital Personal in die lombardische Hauptstadt um. Damit einhergehend: Während sich der Immobilienmarkt in London und Frankfurt spürbar abkühlte, heizt sich dieser in der italienischen Finanzmetropole an. Unterstützt wird die Nachfrage-Verschiebung zu Gunsten Mailands durch finanzielle Anreize eines im Jahr 2017 verabschiedeten Programms der italienischen Regierung zur Repatriierung vermögender Privatleute („high net-worth individuals“). Der Reiz erlassener Steuervergünstigungen besteht vor allem darin, bis zu 70 % der Einkünfte der vergangenen fünf Jahre nicht versteuern zu müssen oder diese mit 100.000 Euro pauschal abgelten zu können.
Italiens fruchtbare Region der Finanzwirtschaft
Mit Wohlwollen sollen sich in London tätige Banker zusehends der Alpensüdseite zuwenden. Mailand biete niedrigere Lebenshaltungskosten und gewagte, moderne Wohnentwicklungsprojekte. Seit dem Brexit ziehe es zudem zunehmend Private-Equity-Investoren von der Themse in die zweitgrößte Stadt Italiens. Mitarbeiter des Finanzsegments stünden bereits für ein Fünftel der Immobilienkundschaft. Nördliche Viertel Mailands erlebten in den vergangenen Jahren durch Revitalisierungsprojekte eine Renaissance bzw. entwickelten sich zu urbanen, zeitgenössischen Arealen, in denen Wohnobjekte der oberen Preisklasse als auch Geschäftshäuser fließend ineinander übergehen. Als Beispiel sei das Wohnprojekt, der „Vertikale Wald“ (bosco verticale) an der Porta Nuova oder die CityLife-Residenz von Zaha Hadid genannt.
Der italienische Immobilienmarkt erweist sich derzeit (trotz global steigender Zinsen) im Gegensatz zu anderen Regionen resistent, da dieser sich seit der Finanzkrise nur langsam, aber ständig, erholte. Der Immobilienplattform immobiliare.it zufolge, hob sich der Wert der Objekte der Mailänder Luxusklasse alleine zwischen 2019 und 2021 um
25 % auf 5,8 Mrd. Euro. Diese Daten stünden einem landesweiten Durchschnitt von +2 % entgegen. Insider sehen allerdings eine bereits eingetretene Phase, in der nicht mehr durch Mundpropaganda, sondern aus Investmentgedanken- und Empfehlungen zugegriffen werde.
Freizeit- und Erholungswert „vor der Haustüre“
Nicht nur die ausgezeichnete Infrastruktur Mailands (mit Malpensa, Linate und Orio al Serio verfügt die Stadt über drei Flughäfen; Frankfurt ist in einer Stunde erreichbar) regt Finanzdienstleister an, die Personalkapazitäten an der oberen Po-Ebene zu erweitern. Denn die gebotene Vielfalt in unmittelbarer Nähe überzeugt. In knapp über drei Stunden sind die Alpen mit der Bahn bis Zürich überquert, ebenso rasch ist Rom mit den Hochgeschwindigkeitszügen Frecciarossa (Trenitalia) oder dem Privatanbieter „Italo“ zu erreichen. Mit einer geringen Fahrzeit von 40 Minuten befindet man sich mit dem Pkw an den prominenten Seen, um den Lago Maggiore, Como oder Lugano. Nur 70 bis 90 Minuten nimmt es in Anspruch, die Skigebiete um Varese zu erreichen. Innerhalb einer Fahrzeit von etwas mehr als zwei Stunden ist die ligurische Küste zu genießen. Zum hervorragenden Einkaufs-, Kulinarik- und Kulturangebot der 1,4 Mio Einwohner zählenden Stadt (als Metropolregion zählt sie insgesamt 3,3 Mio Einwohner) bedarf es keiner weiteren Aufzählung.
Erwachen aus hinterer Position
Noch wird Mailand als Finanz-Hub bei weitem nicht der Stellenwert Frankfurts oder gar Londons zugesprochen. Im Global Financial Centres Index (Wettbewerb zur Fluktuation des internationalen Finanzkapitals) nehmen die Lombarden noch den 48. Platz (Paris liegt an 10., Frankfurt an der 18., Amsterdam an der 19. Stelle) ein. Das Anwerbe-Begehren südeuropäischer urbaner Metropolen nach den kaufkräftigen City-Bürgern der Finanzinstitute dürfte aber weiter steigen. Denn nach Daten der EBA sind 70 % der vorjährigen Zunahme an hochbezahlten Angestellten in der EU dem Banksektor Frankreichs, Italiens und Spaniens zuzuordnen.
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