Die Zukunft der HV
Christian Temmel von DLA Piper über mögliche HV-Formate.
Rudolf Preyer. „Ich habe die Freude gehabt, bei der allerersten virtuellen Hauptversammlung im deutschsprachigen Raum dabei zu sein“, erklärt Christian Temmel (Foto), das war jene der Schoeller Bleckmann Oilfield Equipment AG am 23. April 2020. Die wenigsten wissen, so der bei DLA Piper tätige Jurist, dass in Österreich früher als in Deutschland HVs auf dem Laptop stattfinden konnten bzw. mussten. Temmel hat an die 40 virtuelle HVs als Stimmrechtsvertreter begleitet.
Ursprünglich galt das Gesellschaftsrechtliche Covid-19-Gesetz nur bis Ende 2020, dann auch in den Jahren 2021 und 2022, zuletzt wurde es bis 30. Juni dieses Jahres verlängert.
Redebeiträge und Fragen können vor und auch während einer virtuellen Hauptversammlung seitens der Online-Teilnehmer eingebracht werden. In Deutschland hingegen war zwei Tage vor der HV quasi „Einsendeschluss“ (somit konnten auch keine Rückfragen gestellt werden). Etwa ab vergangenem Sommer, so erklärt der Lektor für Wertpapier- und Kapitalmarktrecht an der Universität Wien, habe sich die Kritik am virtuellen Format gemehrt. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an die Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage der Staller Investments GmbH gegen die Hauptversammlung der Vienna Insurance Group AG vom 20. Mai 2022.
Denkbare zukünftige Hauptversammlungs-Modelle
Eine „Hybrid-Lösung“, so wie sie etwa die Raiffeisen Bank International AG durchgeführt hat – also eine Präsenz-plus-virtuelle-HV – sei jedenfalls die teuerste Variante. Kleinere Emittenten wären hier mit hohen Kosten belastet. Hier stelle sich zudem die Frage: „Sind jene bevorzugt, die in Präsenz anwesend sind – oder sind die benachteiligt, die ‚nur‘ übers Internet teilnehmen können?“ Eine künftige ausschließliche hybride Lösung fände er insgesamt „nicht so gut“, Temmel spricht sich für ein klares „Entweder-Oder“ aus. „Warum sollte es denn nicht möglich sein, so eine Entscheidung in die Verantwortung der Verwaltungsorgane zu legen?“
Für Österreich strebe das Justizministerium jedenfalls pro futuro eine „breitere Lösung“ an, die neben Kapital- und Personengesellschaften auch (ins Innenministerium ressortierende) Vereine mitadressiere. Das erscheint sinnvoll, sind ja etwa Vereine auch aktuell bereits von der Gesellschaftsrechtlichen Covid-19-Verordnung erfasst.
Ein Vorschlag, der dem Börse- und Kapitalmarktrecht an der Donau-Universität Krems unterrichtenden Lektor gefallen würde, wäre, dass man in der HV darüber abstimmen lässt, ob der Vorstand und der Aufsichtsrat im nächsten Jahr/in den nächsten Jahren selber entscheiden können, eine Präsenz-Veranstaltung bzw. eine virtuelle HV abzuhalten (dafür käme beispielsweise ein 75-%-Quorum in Frage). Auch sollte etwa vorgeschlagen werden können, die HV in einem Jahr virtuell und im Jahr darauf verpflichtend wieder physisch abzuhalten, quasi ein „alternierendes Modell“ (dafür reichten dann wohl schon 50 % Zustimmung auf der HV). Auch denkbar: Jeder Aktionär kann sich während einer virtuellen Abhaltung mit Bild und Ton dazuschalten.
Mitbestimmung der Aktionäre über die Abhaltung
Temmel abschließend: „Diese Modelle wären sehr charmant, weil die Aktionäre mitbestimmen könnten, wie die HVs abgehalten werden sollen.“
Er geht jedenfalls nicht davon aus, dass die virtuelle Hauptversammlung, so wie sie in den vergangenen drei Jahren stattgefunden hat, ins Dauerrecht übertragen wird, aber dass es im Dauerrecht eine neue Lösung für virtuelle Versammlungen geben wird.
Kurzum: Die Entwicklung der HV bleibt auch nach dem 30.6. spannend.
Foto: DLA Piper