„Langfristig hat der Finanzmarkt recht“
Private Banker Alexander Eberan über Investmentstrategien und Sorgen um Europas Zukunft.
Marius Perger. In der derzeit schwierigen, allgemeinen Gemengelage sei eine spannende, wenn auch nur vermeintliche Abkoppelung des Finanzmarktes von der Realwirtschaft zu beobachten. Das sagt Alexander Eberan, Leiter Private Banking der Steiermärkischen Sparkasse in Wien, im Gespräch mit dem Börsen-Kurier. Viele Menschen, die den konjunkturellen Rückgang sehr stark verspüren, würden nicht verstehen, dass der Finanzmarkt anscheinend „anders tickt“. Tatsächlich handle es sich allerdings nur um eine kurzfristige Abkoppelung: „Mittel- bis langfristig hat der Finanzmarkt doch wieder recht“, so Eberan.
Hauptgrund sei, dass die Finanzmärkte der Realwirtschaft zwölf bis 18 Monate vorauseilen. Und die aktuelle Entwicklung antizipiere die starke Vermutung, dass der Zinszyklus sowohl in den USA als auch in Europa seinen Höhepunkt überschritten hat. Diese Aussicht beflügle in erste Linie den Technologiesektor, aber auch Zykliker würden von einer sinkenden Inflation profitieren. Eberan: „Man glaubt, es handelt sich um eine Abkoppelung, in Wirklichkeit werden Dinge nur vorausgenommen.“
Viele Kunden derzeit verunsichert
Viele seiner Kunden seien derzeit aber skeptisch und verunsichert, sagt der Private Banker. Dies betreffe insbesondere die wirtschaftliche Entwicklung in Europa, die zu einer Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit des alten Kontinents führe. Manche politischen Schnellschüsse in der jüngeren Vergangenheit seien „nicht positiv“ gewesen.
Probleme bereite den Unternehmen nach wie vor das Thema Lieferketten. Die zu Corona-Zeiten angedachte Rückholung der Produktion aus China nach Europa sei eine „absolute Illusion“ gewesen, China habe nach wie vor einen hohen Stellenwert und zeichne sich durch hohe Verlässlichkeit aus. Andererseits sei derzeit eher eine Auslagerung europäischer Produktion in Richtung USA zu beobachten, was auf die wirtschaftliche Stärke und eine gesicherte, günstige Energieversorgung zurückzuführen sei.
Klassisches Portfolio wieder möglich
Nachdem es zehn Jahre lang keine Zinsen gegeben habe, habe „Geld Gott sei Dank wieder einen Preis“. Zwar würden die hohen Zinsen den einen oder anderen, der hoch verschuldet ist, zum Straucheln bringen, dies sei aber ein vernünftiger Aussonderungsprozess und marktwirtschaftlich zu begrüßen.
Für die Geldanlage bedeute dies aber, dass Anleihen wieder einen guten Gegenpol zum Aktienmarkt bilden und einen Puffer für Aktienfluktuation darstellen: Man könne Kunden nun auch im Anleihebereich wieder eine gute Beratung anbieten, so Eberan. Bei Anleihezinsen von 3 bis 4 % wäre es auch im Sinn der Diversifikation gut, ein „klassisches Portfolio“ wiederherzustellen. Und bei einer weiter sinkenden Inflation sollte es auch wieder zu einer positiven Zinsstruktur kommen. Eberan rechnet damit, dass Anleihen auch wieder zu Ertragsbringern werden. Und er rät Kunden, sich jetzt Zinssätze von 3,5 oder 4 % für die nächsten Jahre zu sichern.
Was Aktien betrifft, wäre antizyklisches Investieren heuer nicht möglich gewesen. Eine Konzentration auf Value-Titel hätte im laufenden Jahr keine Performance gebracht, ohne Tech-Werte wäre es ein Nullsummenspiel gewesen: „Wer hätte 2022 gedacht, dass der Technologiesektor wieder anspringt?“ Die Anlagestrategie seines Instituts sei aber grundsätzlich sehr breit aufgestellt und man sei auch im Technologiebereich investiert, weshalb man bisher eine „ansprechende Rendite“ erzielen konnte. Ganz wichtig sei es aber, in qualitativ gute Unternehmen investiert zu sein; das gelte auch für den Anleihebereich.
Für Europas Zukunft skeptisch
Für das kommende Jahr rechnet Eberan mit einer starken Entwicklung in den USA: „Wir sind sehr positiv für die Vereinigten Staaten eingestellt.“ China werde sich aufgrund der Demografie und der Immobilienkrise schwach entwickeln, für die Emerging Markets sind seine Erwartung „gedämpft“.
Probleme erkennt Eberan aber in Europa, insbesondere in Deutschland, das immerhin einen Anteil von rund 5 % am globalen Wirtschaftswachstum habe: Wenn Deutschland schwächelt, sei das ein massives Problem. Unser nördliches Nachbarland habe sich in eine schwierige Position manövriert und sei dabei, „alle Tugenden abzuschaffen“.
Dazu komme, dass Europa seine Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den anderen Kontinenten verloren habe, auch wenn einige Länder in Osteuropa einen „guten Job machen“. Vor allem würde Europa zu teuer produzieren, viele Länder hätten die Euro-Einführung auch dazu genutzt, Löhne über die Maßen anzuheben. Mitauslöser der problematischen Entwicklung sei es auch, dass die Themen, die sich die EU gesetzt hat, nicht die richtigen sind, ist Eberan überzeugt: „Wir blockieren das Unternehmertum und untergraben damit unsere Wettbewerbsfähigkeit.“
Echte Themen, die wir angehen müssten, wären das Pensionssystem, Gesundheit und Pflege, Bildung sowie eine Strukturreform in den Ländern. Und über dem allen müsse das Thema Rechtsstaatlichkeit stehen. Schließlich gehe es aber auch darum, dass Leistung wieder belohnt wird, so Eberan abschließend.
Bild: Thomas Raggam