„Grüne“ Standards für die nachhaltige Berichterstattung
Ab 2025 müssen erste Firmen gemäß European Sustainability Reporting Standard berichten.
Andreas Dolezal. Ziel der Europäischen Union ist es, die EU-Wirtschaft auf eine nachhaltige Zukunft auszurichten. „Dazu werden Unternehmen und Finanzinstitute mit ihren Klima- und Umweltdaten offener umgehen müssen, damit die Anleger umfassend über die Nachhaltigkeit ihrer Investitionen informiert sind“, schreibt die Kommission. Um die Vergleichbarkeit der Informationen zu gewährleisten, hat die „European Financial Reporting Advisory Group“ (EFRAG), ein Beratergremium der EU, neue Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung erarbeitet. Das erste Set dieser „European Sustainability Reporting Standards“ (ESRS) wurde vor Kurzem veröffentlicht. Branchenspezifische Standards, etwa für Land- und Fortwirtschaft, Öl und Gas, Textilien sowie chemische Erzeugnisse, befinden sich noch in Entwicklung und werden folgen.
Von GRI zu ESRS
Schon bisher haben große Unternehmen auf Basis internationaler Standards nachhaltig berichtet, etwa gemäß den Richtlinien der Global Reporting Initiative (GRI). Die EU-Kommission hat sich jedoch nicht für einen seit Jahren weltweit etablierten Berichtsstandard entschieden, sondern mit den ESRS ein neues europäisches Berichtsschema entwickelt. Es orientiert sich an bekannten Standards, geht aber weit darüber hinaus, um den visionären Zielen des Grünen Deals gerecht zu werden.
Die ersten zwölf ESRS-Standards wurden als 284-seitige EU-Verordnung am 22. Dezember 2023 veröffentlicht und gelten bereits seit 1. Jänner 2024. Unternehmen, die schon bisher nicht-finanziell bzw. nachhaltig berichten mussten (Banken, Versicherungen und börsennotierte Unternehmen), müssen erstmals das Geschäftsjahr 2024 gemäß der ESRS berichten.
Kleinere Unternehmen werden schrittweise verpflichtet laut ESRS zu berichten. Letztendlich werden im Jahr 2029 statt aktuell etwa 11.600 EU-Unternehmen knapp 50.000 nachhaltig berichten müssen. Betroffene Unternehmen, in Österreich etwa 3.000, sind gut beraten, sich rechtzeitig darauf vorzubereiten.
Doppelte Wesentlichkeit
Eine zentrale Anforderung ist die Betrachtung von Nachhaltigkeitsaspekten im Sinne der doppelten Wesentlichkeit. Das ist einerseits die Wesentlichkeit der Auswirkungen („Inside-out-Perspektive“), also die Auswirkungen des Unternehmens auf Menschen oder Umwelt innerhalb kurz-, mittel- oder langfristiger Zeithorizonte. Andererseits die finanzielle Wesentlichkeit („Outside-in-Perspektive“), das sind von außen auf das Unternehmen einwirkende Nachhaltigkeitsfaktoren, wie etwa der Klimawandel, die Einfluss auf die künftige Entwicklung und Rentabilität haben.
Weitere Standards beziehen sich auf die nachhaltige Betrachtung der eigenen Belegschaft, der Arbeitskräfte in der Wertschöpfungskette, betroffener Gemeinschaften, Verbraucher und Endnutzer sowie die Unternehmenspolitik.
Bürokratie-Monster?
Sowohl Detailgrad als auch Tiefe der ESRS sind bemerkenswert. Die neuen Berichtsstandards nehmen Unternehmen deutlich mehr in die Pflicht als bisher. Die Anforderungen an IT und Datenmanagement erhöhen sich massiv. Offenzulegen sind die Informationen im „European Single Electronic Format“ (ESEF), das für Mensch und Maschine gleichermaßen lesbar ist. Die nachhaltigen Angaben müssen verständlich, relevant, überprüfbar und vergleichbar sein, und sie unterliegen neuerdings einer externen Prüfpflicht. All dies bedingt erhebliche personelle und zeitliche Ressourcen, die naturgemäß auch ins Geld gehen.
Laute Kritik
Die „Corporate Sustainability Reporting Directive“ (CSRD), die festlegt, welche Unternehmen ab wann berichtspflichtig sind, besagt in Artikel 29b, dass die „Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung einen unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand für Unternehmen vermeiden“ müssen. Dieser gesetzliche Auftrag wurde nicht erfüllt, kritisieren Interessenvertretungen und Wirtschaft.
Das Berichtsschema sollte überschaubarer, verhältnismäßiger und praktikabler sind, fordern Kritiker insbesondere im Hinblick auf kleine und mittlere Unternehmen. Sie fürchten um die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen, daher sollten die Offenlegungsanforderungen unbedingt vereinfacht und auf das Notwendigste reduziert werden. Bis dato haben sie damit in Brüssel wenig Gehör gefunden.
Apropos „CSRD“: Diese EU-Richtlinie muss, im Gegensatz zur „ESRS“-Verordnung, in allen EU-Mitgliedstaaten bis 6. Juli 2024 in nationales Recht umgesetzt werden. Sonst kann die skurrile Situation entstehen, dass der Berichtsstandard ab 2025 Pflicht ist, aber gesetzlich nicht festgelegt ist, wer überhaupt berichten muss.
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